Tag Archiv für anarchismus

Ein Jahr nach der Bundestagswahl 2021 – ein Resümee

Als die Bundestagswahl vor genau einem Jahr u.a. dazu führte, dass Karl Lauterbach Gesundheitsminister wurde, hatte ich die Hoffnung, dass zumindest in der Corona-Politik ein vernünftigerer Pfad eingeschlagen würde, als dies zuvor unter Jens Spahn der Fall war. Viel mehr Positives ließ sich von einer Regierung aus SPD, Grünen & FDP von Anfang an nicht erwarten und dass Wahlen am scheindemokratischen, bürgerlichen, politischen Überbau des kapitalistischen Wirtschaftssystems nichts ändern, ist hinlänglich bekannt, da sie sonst ja auch verboten wären. Nun ist auch ein Karl Lauterbach, der bisher immerhin massiv auf eine Privatisierung des Gesundheitssystems setzte und damit für das finanzielle Zugrunderichten dieser wichtigen Infrastruktur eintrat, auch keine Lichtgestalt. Dennoch hatte ich auf eine Impfpflicht und weitere sinnvolle Maßnahmen im Kampf gegen Covid-19 gehofft.

Mittlerweile wissen wir, dass Lauterbach komplett vor Querdenken & Co. eingeknickt ist. Die forcierte Einheit der deutschen Gesellschaft durch einen Burgfrieden unter dem Eindruck der Eskalation des Ukrainekrieges durch den russischen Einmarsch soll nicht durch weitere Proteste der Coronaleugner*innen gestört, das Kapital der deutschen Wirtschaft auf keinen Fall durch eventuell nötige weitere Lockdowns gefährdet werden. So ist die Idee von der Impfpflicht Geschichte und wenn die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten in den Statistiken sinkt, dann drückt der Gesundheitsminister diese geschickt durch das Abschaffen kostenloser Tests. Dies wirkt umso stärker, da die Regierung unter Knüppel-Scholz, welcher seine Cops im Juli 2017 als Hamburger Bürgermeister gegen die demokratischen Proteste gegen den absolut undemokratischen G20-Gipfel von der Leine ließ1, im Zeichen der Sanktionspolitik gegen Russland eine massive Verteuerung des Lebens und Sozialabbau betreibt, sodass sich immer weniger Menschen die nun kostenpflichtigen Tests leisten werden. Durch solche statistischen Tricks wird sich Covid-19 freilich nicht besiegen lassen. Die Anfangs erwähnte Hoffnung wurde also auf voller Linie enttäuscht. Dramatischer sieht die Bilanz der aktuellen Bundesregierung nur bei ihrem Wirtschaftskrieg gegen Russland aus. Weiterlesen

Mit Tintenklecksen gegen die Querfront

»Insbesondere ein Miniblogger mit dem Namen Tintenklecks schwurbelt von einer ›besonders kruden Querfront der Querfronten‹ und verspürt idiosynkratischen ›Ekel‹.« (http://magazinredaktion.tk/corona84.php)

Jetzt bekam ich nach über zwei Monaten doch nochmal eine Mail von der »Magazin Redaktion«. Schadenfreudig wollte man mir mitteilen, dass man sich nun erlaubt habe, auch mich auf ihrer Website zu erwähnen, nachdem ich in meinem Beitrag »Querdenken – Verschwörungswahn und Rücksichtslosigkeit« ihre Mails an mich analytisch zerpflückt hatte. Und abgesehen davon, dass ich an ihrer Stelle vom »[unbedeutenden] Miniblogger« geschrieben hätte, liegen sie zumindest richtig, wenn sie feststellen, dass ich einen unüberwindlichen Ekel gegenüber jeder Kooperation mit Faschist*innen habe. In der Redaktion scheint man sich dann auch die Vorliebe chauvinistischer Kreise zu eigen gemacht zu haben, den politischen Gegner*innen verniedlichende Verdrehungen von deren Namen als Bezeichnung zu verpassen. Das ist schon okay. Ich bin lieber ein Tintenklecks, als Teil eines braunen Haufens. Eine Anschuldigung aus der Mail, ich hätte mit meinem Blogbeitrag einen Freund, der mit seinen Positionen übrigens öffentlich auftritt, denunziert, muss ich zurückweisen. Anders als die »Magazin Redaktion« sehe ich Antisemit*innen, Verschwörungswahnsinnige und Querfrontler*innen nicht als meine Freund*innen. Wer mit dem Faschismus sympathisiert kann aus antifaschistischer Perspektive politisch nur als Feind*in erachtet werden. Und wo ich gerade beim Thema Antifa bin, kann ich direkt festhalten, dass ich mit solchen Anfeindungen durch die Querfront an sich übrigens in guter Gesellschaft bin. Auf seinem Telegram-Channel fantasiert der angebliche »Demokratische Widerstand«, dass antifaschistische Gruppierungen wie die North-East Antifa [NEA], welche sich behauptungsweise um den DJU-Gewerkschafter Jörg Reichel formieren soll, als staatliche Agents Provocateurs die jüngsten Ausschreitungen von Corona-Leugner*innen in Belgien angeheizt hätten.i So wird dann die Verantwortung für die Gewalt durch die eigenen faschistischen Gewalttäter*innen auf progressive Kräfte geschoben, um diese gefühlt zu diffamieren. Weiterlesen

Einseitige Mythenbildung – Es gibt auch eine marxistische Mythenbildung zu Kronstadt

Der vorliegende Text entstand als Leser*innenbrief an die junge Welt.

Wie gerade in eurem Aktionsbüro bekannt sein dürfte, bin ich begeisterter Leser der jungen Welt. Was ich an ihr vor allem schätze, ist, dass sie als marxistische Tageszeitung nie aus den Augen verliert, dass es weitere linke Strömungen gibt, und auch diesen gegenüber eine solidarische Haltung einnimmt. Gerade als 2016/17 der 80. Jahrestag des Beginns des Spanischen Bürgerkrieges und der sogenannten Maiereignisse in Barcelona anstand, wurde recht objektiv auf die innerlinken Konflikte damals eingegangen. Erinnert sei hier vor allem an den Artikel »Die tragische Woche« von Werner Abel am 04.05.2017. Damals habt ihr mich dazu bewegt, die Abschlussarbeit meines Geschichtsstudiums dem Thema »Die Aufstände von Kronstadt (1921) und Barcelona (1937) in der Rezeption von Marxist*innen und Anarchist*innen« (dort finden sich auf Seite 16-34 auch weiterführende Ausführungen zur anarchistischen & marxistischen Mythenbildung um Kronstadt sowie genaue Quellenangaben) zu widmen. Ich habe mich in diesem Rahmen mit der Mythenbildung auf beiden Seiten beschäftigt. Das Thema ist spannend und kontrovers. Für die Anregung, die mir damals durch die junge Welt zuteil wurde, bin ich bis heute dankbar, weil sie stumpfe Schwarz-Weiß-Schemata, die ich in meinem Kopf hatte auflöste und mich dazu anregte, mehr die Gemeinsamkeiten denn die Differenzen der verschiedenen progressiven Bewegungen zu betrachten. Damals begann ich ganz im Sinne Fidel Castros die Einheit der Linken in den Fokus zu nehmen. Entsprechend erschrocken war ich, als ich auf den Themenseiten der jungen Welt zum 09.03.2021 den Artikel zum »Mythos Kronstadt« von Elisa Nowak las. Es ist quasi unmöglich, dem Thema gerecht zu werden, wenn derart einseitig Quellen herangezogen werden und Trotzki und Lenin in diesem Konflikt auf solch unhinterfragte Weise wiedergegeben werden. Die Bezugnahme auf eine Mythenbildung auf anarchistischer Seite ohne auch die Mythenbildung auf bolschewistisch-marxistischer Seite zu hinterfragen, muss notgedrungen in einer Rechtfertigungsfarce enden, die es nicht schaffen kann, die Gründe und Abwägungen, die hinter dem Sturm auf Kronstadt und der dem zuvor gehenden Auflösung der Sowjets standen, aufrecht darzulegen. Die Analysen von Lenin sind hierbei durchaus wichtig. Es muss aber in die Betrachtung einbezogen werden, dass er damals auf einer Seite in diesem innerlinken Konflikt stand und somit nicht frei von eigenen Motiven war, die seine Analyse färben. Ähnlich verhält es sich mit Trotzki, auch wenn mich dessen anti-bäuerliche Ressentiments, die bis heute die ablehnende Haltung von Trotzkist*innen gegenüber der ruralen Kubanischen Revolution begründen, soweit abschrecken, dass ich mit ihm nie recht warm wurde. Behauptungen vom weißarmisten Koslowski werden in dem Artikel unhinterfragt hingenommen. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass Koslowski mit der Oktoberrevolution der baltischen Flotte der Roten Armee beitrat und dort für seine Loyalität ausgezeichnet wurde. Auch, dass er keine führende Position beim Kronstädter Aufstand innehatte, wird unterschlagen und einfach gegenteiliges behauptet. Bei einer ehrlichen Aufarbeitung der damaligen Geschehnisse muss festgehalten werden, dass die marxistische Propaganda gegen ihn ebenso haltlos ist, wie die anarchistische gegen Tuchatschewski. Schreibt Nowak an solchen Stellen wissentlich spalterisch oder fehlt ihr schlicht das historische Wissen? Die Behauptung, dem aufständischen Verhalten der Kronstädter Matrosen lege, nach einem Austausch durch die hohen Verluste im Bürgerkrieg, ein mangelnder Klassencharakter zugrunde, kann historisch wohl zumindest als strittig betrachtet werden. Was der Artikel gut auffasst, ist zumindest die schwierige ökonomische Lage, in der sich die verschiedenen revolutionären Kräfte in Russland damals befanden. Was Nowak jedoch nicht gelingt ist, zu betrachten, dass es u.a. mit den Matrosen und Arbeiter*innen von Kronstadt auch abseits der Bolschewiki proletarisch-revolutionäre Kräfte in Russland gab. Der Artikel liest sich unter diesem Blickpunkt bestenfalls dogmatisch und versucht, eben die Bolschewiki als einzige revolutionäre Kraft darzustellen. Er untersucht nur in einem Mindestmaß die ökonomischen Gründe für das Zerwürfnis zwischen den Arbeiter*innen von Kronstadt und der bolschewistischen Führung und betrachtet nicht die Privilegien, die Mitglieder der Partei in eben der schweren Lage genossen. Stattdessen ergibt er sich in weiten Teilen einer simplen Freund-Feind-Logik. Nur weil kapitalistische Staaten ein Interesse an einem Konflikt zwischen den Revolutionär*innen von Kronstadt und jenen in der KPR(B) hatten, heißt dies noch nicht, dass Erstere deren Einflüsterungen gefolgt wären. Wer dies behauptet, statt die objektiven Bedingungen für deren Aufstand zu untersuchen, fällt auf das alte Teile-und-Herrsche herein, statt Geschichte zu analysieren.

Um Kronstadt als Wunde in der Geschichte zwischen verschiedenen linken Traditionen gerecht zu werden, hätte Nowak der Mythenbildung auf beiden Seiten nachgehen müssen, statt einseitig Partei zu ergreifen. In der gewählten Form stimmt sie lediglich in das Zetergeschrei um Kronstadt ein, auch wenn sie hierbei auf der anderen Seite steht, als jene, die von Trotzki adressiert wurden. Die Gleichsetzung anarchistischer und weißgardistischer Armeen ist ebenso ahistorisch, wie ähnliche Behauptungen von anarchistischer Seite gegen die Bolschewiki.

Ich weiß, ihr könnt das besser und so hoffe ich darauf, dass der Aufstand von Kronstadt 100 Jahre später in der jungen Welt noch etwas objektiver aufgegriffen wird.

Solidarische Grüße,
Meas Tintenwolf

Rätedemokratie und Sozialismus: Das Beispiel Kuba

© Lorenzo Crespo Silveira

Den folgenden Artikel habe ich zusammen mit Geronimo Marulanda für das re:volt magazine geschrieben.

Vorbemerkung der Redaktion:
Am 23. Januar 2021 verabschiedete der Parteivorstand der Linken einen Beschluss der Parteiströmung »Emanzipatorische Linke
(Ema.Li)«. Unter dem Titel »Solidarität mit Kuba« wird nicht nur gegen die anhaltende und völkerrechtswidrige, jahrzehntelange Blocke Kubas durch den US-Imperialismus protestiert. Zugleich wird auf antikommunistische Kräfte anerkennend Bezug genommen, die die kubanische Gesellschaft von innen heraus »demokratisieren« sollen. Dies stellt in der Geschichte der Linkspartei einen Tabubruch dar.
Angesichts der fortwährenden wirtschaftlichen, sozialen sowie politischen Destabilisierungsversuche Kubas durch US-amerikanische Sanktionen und ihre Förderung rechter Terrornetzwerke in Miami und auf Kuba, sind die Bezugnahmen auf die in der Resolution erwähnten »demokratischen Akteure« gefährlich. Diese bergen die Gefahr, mit und trotz solidarischer Lippenbekenntnisse zu Kuba den US-Kurs der Isolation der sozialistischen Insel sowie den rechten Bemühungen um einen »regime change« das Wort zu reden.
Dagegen regt sich innerhalb der internationalistischen Teile der Linkspartei Widerstand. Im Zuge der Tendenzen der Entsolidarisierung mit dem sozialistischen Kuba ist ein genauerer Blick auf das politische System notwendig, um nicht auf imperialistische und antikommunistische Lügen hereinzufallen. Die nachfolgende Debatte dient der revolutionären Linken auch hierzulande, fortschrittliche Tendenzen für die Suche nach brauchbaren gesellschaftlichen Gegenmodellen zur bürgerlichen Herrschaft diskutieren und finden zu können.

Wir Autoren teilen eine gemeinsame Geschichte in der autonomen Antifa-Bewegung. Lange Jahre definierten wir uns als »Antiautoritäre« und »libertäre Sozialisten«. Wir taten dies in Abgrenzung zum Realsozialismus, und folgten damit dem Mainstream der deutschen Linken. Aber: Wir verhielten uns auch in diesen Jahren unserer politischen Biografie bereits solidarisch gegenüber Bewegungen, Organisationen und Ländern, die wir aus unserem damaligen Standpunkt heraus als »autoritär-sozialistisch« ansahen. So sahen wir in der Revolution Kubas zum Beispiel ein politisch unterstützenswertes Projekt. Für das antiautoritäre Spektrum waren wir damit schon recht aufgeschlossen, wird Kuba in diesem Spektrum doch in eine Reihe mit allen möglichen anderen realsozialistischen Projekten gestellt und für gescheitert erklärt. Dass nicht alles an der antikommunistischen, antikubanischen Propaganda stimmt, konnten wir nicht zuletzt aufgrund mehrfacher Reisen und verbrachter Zeit vor Ort feststellen. Weiterlesen

Kurzbiografie: Buenaventura Durruti

Folgenden Text schrieb ich für das internationalistische Gedenkprojekt »Kämpfen & Gedenken« rund um mein gleichnamiges Musikvideo:

Buenaventura Durruti Dumange (14.07.1896-20.11.1936) wurde als Sohn einfacher Arbeiter*innen in León in Kastilien im Nordwesten Spaniens geboren und trat ebenso wie sein Vater und seine sieben Brüder einen Job bei der Eisenbahn an. Mit 14 Jahren arbeitete er unter schlechten Bedingungen als Gießer und Schlosser. Von der Gewerkschaft Unión General de Trabajadores (deutsch: Generalunion der Arbeiter*innen; kurz: UGT) wechselte er, nachdem ein Generalstreik 1917 von der Armee blutig niedergeschlagen worden war, in die radikalere Confederación Nacional del Trabajo (deutsch: Nationale Konföderation der Arbeit; kurz: CNT). In den folgenden Jahren ging er mehrfach ins Exil, um dem Militärdienst sowie der Repression durch den Polizeiapparat zu entgehen. Seine Reisen führten ihn unter anderem quer durch Lateinamerika.

Anfang der 1930er-Jahre begann die Zusammenarbeit der CNT mit der Federación Anarquista Ibérica (deutsch: Iberische Anarchistische Föderation; kurz: FAI), die rund um Durruti als militanter Arm Sabotageaktionen ausführte. 1936 unterstützte die CNT/FAI, welche zuvor immer zum Boykott der Wahlen aufgerufen hatte, ein Volksfrontbündnis aus sozialdemokratischen, kommunistischen und bürgerlichen Parteien – die Frente Popular. Die CNT/FAI hatte unter dem Eindruck des Wahlsiegs eines rechten Bündnisses 1933 – der Frente Nacional (deutsch: Nationale Front; kurz: FN) und des aufziehenden Faschismus in Spanien von einem allgemeinen Wahlboykott abgesehen. Am 16.02.1936 gewann diese die Wahlen und Juan Negrín Lopez wurde neuer Regierungschef der seit 1931 existierenden Zweiten Spanischen Republik. Im Juli versuchten faschistische Militärs um den General Francisco Franco einen Militärputsch, dem sich jedoch die Bevölkerung, welche sich z.B. um die CNT/FAI selbst bewaffnet hatte, entgegenstellte. Unterstützt durch Truppen und Militärgeräte aus Italien und Deutschland sowie ermutigt durch die Appeasement-Politik von Frankreich und England, die Mussolini und Hitler auf der Seite von Franco zwar gewähren ließen, eine Militärhilfe der Sowjetunion für die Zweite Republik jedoch zu verhindern suchten, begannen die Putschisten einen mörderischen Bürgerkrieg, bei dem sie fest auf das internationale Kapital und die katholische Kirche setzen konnten, die alles dafür taten, die demokratisch gewählte Linksregierung zu beseitigen.

Von Seiten der CNT/FAI aus setzte sich Durruti sehr für einen gemeinschaftlichen, antifaschistischen Kampf der Anarchist*innen in Katalonien und der Sozialdemokrat*innen und Kommunist*innen in der spanischen Zentralregierung ein. So kam er der belagerten Hauptstadt Madrid im November 1936 zusammen mit einer Kolonne aus Barcelona zur Hilfe. Während der Schlacht wurden ca. 5000 Menschen von den Faschisten ermordet. Ob Durruti durch eine Kugel der Faschisten starb oder ob ihn der stalinistische Geheimdienst der Sowjetunion getötet hat, ist bis heute umstritten. Der Verlust von Durruti mit seinem Bestreben um einen gemeinsamen Kampf fortschrittlicher Kräfte hat ebendiese im weiteren Verlauf des Spanischen Bürgerkrieges geschwächt.

Siehe auch »Die Aufstände von Kronstadt (1921) und Barcelona (1937) in der Rezeption von Marxist*innen und Anarchist*innen«.

Tamara Anna

Nachdem ich ein erstes Gedicht für Tania Kiah auf Spanisch veröffentlicht habe, folgt nun eine sinngemäße deutschsprachige Version für ihre LARP-Charaktere.

Carah, Tamara Anna & Degordarak in ihrem ZeltCarah, Tamara Anna & Degordarak in ihrem Zelt

Es leuchtet hell das Meer der Sterne,
zeichnet in den Geiste mir dein Bild.
In deinem Anblick spür‘ ich Wärme,
in deinem Schrei den Ruf nach Freiheit wild.

So bist aus Liebe du geboren,
Tamara Anna, Anarchie,
als wilder Vogel auserkoren,
finst’rer Herrschaft beug‘ dich nie.

Lache, strahle, sing‘ voll Glück,
liebe, spiele, träum‘ von schönstem Glanz,
reise und kehr dann nach Haus‘ zurück,
dreh voll Freude dich in wildem Tanz.

Creative Commons CC BY-NC-ND by Tintenwolf
(geschrieben am 27.07.2020,
entstand im Rahmen des Satjira-Projects (siehe »Tamara Anna«),
ein Gedicht der Regenbogentinte- und der Wildvogel-Reihe)

Tania Kiah

El mar de estrellas brilla con fuerza,
me da un sueño lleno de claridad.
Nace un fuego ardiente.
Una niña clama por la libertad.

Y nacido en mi vida
llena de amor eres Tania Kiah.
Por ti, hija mía, deseo
una vida de comunismo y anarquía.

Deseo un mundo para juegos,
para descubrir, reír y bailar,
un mundo donde todas son libres
y en el que también tus sueños tienen un lugar.

Creative Commons CC BY-NC-ND by Tintenwolf
(geschrieben am 27.07.2020)

Kubanische Lehren

Jetzt sitzen wir im Flugzeug zurück nach Kaltland. Es ist soeben abgehoben. Zeit, die letzten sieben Monate Revue passieren zu lassen. Glücklich kann ich behaupten, meine mir anfangs gesteckten Ziele erreicht zu haben. Künstlerisch lief die Zeit gut. Es sind sechs spanischsprachige Gedichte und Vertonungen zu einem Teil von diesen entstanden und ich habe gegen Ende 2018 ein paar Auftritte in Kuba wahrnehmen können. Was meine zentrale Frage zur kubanischen Revolution angeht (vgl. »Ich bin dann mal weg…«), bin ich ebenfalls weitergekommen. Um hierdrauf einzugehen, benötigt es einen kurzen Input in marxistische Revolutionstheorie. Der Einfachheit halber kopiere ich dabei ein wenig aus meiner Abschlussarbeit an der Technischen Universität von Havanna (CUJAE), die sich im Übrigen mit dem Libertären Kommunalismus auseinandersetzt und hier auf spanisch und deutsch vorliegt.

Karl Marx ging davon aus, dass zum Ende jeder Gesellschaftsformation die Produktionsverhältnisse in einen Grundwiderspruch zum gesellschaftlichen Charakter der Produktivkräfte geraten, was die objektiven Faktoren für eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaftsformation bildet. Eine neue ökonomische Basis in Form neuer Produktionsverhältnisse schafft sich einen neuen gesellschaftlichen Überbau. Diese objektiven Faktoren werden durch subjektive Faktoren ergänzt. Solche können z.B. die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Tyrannei der Herrschenden, der fortgeschrittene Grad der Agitation der Bevölkerung durch progressive Kräfte usw. sein. Hierbei legt Marx im Sinne seiner dialektisch-materialistischen Auffassung Wert darauf, dass die materiellen Bedinngungen – also die objektiven Faktoren – ausschlaggebend für diese qualitativen Veränderungen sind und nicht etwa die subjektiven, ideelen Faktoren. »Das Sein (Materie) bestimmt das Bewusstsein (Idee)«. Eine Revolution, die ohne die entsprechenden objektiven Bedingungen geschieht, ist nach seiner Sicht streng genommen keine Revolution. Und genau hier wird es interessant, da die ökonomischen Bedingungen für eine solche Revolution in Kuba nicht gegeben waren. Subjektive Faktoren gab es zuhauf. Ähnliches trifft auf Russland im Jahr 1917 zu. Beide wiedersprechen somit einer materialistischen Auffassung. Marx würde sie folglich als idealistisch (das Bewusstsein bestimmt das Sein) bewerten.

Dennoch gab es die kubanische Revolution und ihr sozialistischer Charakter ist bis heute gut zu erkennen. Hierbei muss ich nicht von jedem Aspekt begeistert sein. Der Staat hat in meinen Augen eine viel zu zentrale Rolle und unter einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel würde ich mir weniger eine Verstaatlichung als mehr eine Kollektivierung der Betriebe vorstellen. Bei dem Ansatz eines Übergangsstaates wird sich fest an eine marxistische Position gehalten. Dies bedeutet jedoch keine Diktatur, wie sie Kuba gerne unterstellt wird, sondern ein politisches System, welches weit mehr Basisdemokratie und direkte Beteiligungen an vielen Prozessen ermöglicht, als mensch es aus den sogenannten »Demokratien« Europas oder den USA gewöhnt ist. Die Abgeordneten der einzelnen Kommunen werden direkt und mit imperativen Mandaten gewählt, müssen halbjährlich Rechenschaft vor ihren Kommunen ablegen und können abgewählt werden. Eine Parteizugehörigkeit ist hierbei nicht von Belang. Wichtige Verfassungs- & Gesetzesänderungen werden öffentlich debattiert, können um Änderungsvorschläge ergänzt werden und müssen bei entsprechender Tragweite durch eine Volksabstimmung bestätigt werden. Dafür, dass Kuba seit 60 Jahren konterrevolutionären Attacken und Terroranschlägen durch die Geheimdienste des mächtigsten imperialistischen Staates der Erde ausgesetzt ist, sich der extreme Großteil der Welt in staatlichen Strukturen organisiert & kapitalistisch geprägt ist und die ökonomischen Bedingungen für Kuba – sowohl durch das Fehlen entsprechender objektiver Faktoren zum Zeitpunkt der Kubanischen Revolution, als auch durch die US-Blockade seit ebenfalls 60 Jahren – durchaus schlecht sind, kann ich die Organisation in einem staatlichen Gebilde zur Verteidigung der sozialen Fortschritte, die hart erkämpft wurden, durchaus nachvollziehen, selbst wenn ich mir deren Überwindung wünsche. An dieser Stelle ist die Utopie, welche ich mit den kubanischen, wie sicher allen Marxist*innen & Anarchist*innen teile, von der aktuellen Wirklichkeit zu unterscheiden.

Kuba lehrt, revolutionäre, sozialistische (ich weigere mich an dieser Stelle bewusst, in trennende Kategorien wie »libertären« & »autoritären« oder »wissenschaftlichen« & »utopischen« Sozialismus zu unterscheiden) Ansätze sind auch ohne objektive Faktoren möglich. Dies bedeutet nicht, dass kubanische Marxist*innen weniger materialistisch wären. Es zeigt aber, dass strenge Dogmen aufgebrochen werden können. Die subjektiven Faktoren auf Kuba machten die Revolution möglich & nötig. Es wurden ein anderes Wirtschaften ohne Kapitalakkumulation und eine freiere Gesellschaft erkämpft. In Hinsicht auf diesen Kampf wird immer wieder die Einheit – der Zusammenhalt – der progressiven Kräfte betont. Und an dieser Stelle sind wir beim Kern dessen, was wir alle aus Kuba lernen können. Es ist nicht wichtig, ob wir uns für besonders wissenschaftlich überlegen oder super freiheitlich halten. Wichtig ist, dass wir alle dem selben Gegner gegenüberstehen. Wir müssen nicht alle dem kubanischen Weg folgen, eine Räterepublik ausrufen, Graswurzelkommunen gründen, Anarchosyndikalistische Gewerkschaftsföderationen bilden oder in Kurdistan für den Demokratischen Konföderalismus kämpfen, wir müssen aber verstehen, dass dies alles strategische Ansätze sind, den Kampf um eine befreite, klassenlose Gesellschaft zu führen. Wenn wir uns hierbei gegenseitig attackieren, nützen wir nur dem Kapitalismus. Dies und nicht die Frage nach den objektiven Bedingungen ist die wirkliche Erkenntnis, die eine tiefergehende Beschäftigung mit Kuba mit sich bringt. Der Einheit gilt der zentrale Ruf der kubanischen Marxist*innen & Anarchist*innen. Sie haben deren Wert im Kampf gegen den Klassenfeind erkannt. Ohne Einheit & Solidarität werden wir nichts erreichen, egal ob objektive Faktoren für eine Revolution eintreten oder nicht.

alternativas

el parlamentarismo burgues
lo llaman una »democracia«,
qué oprime el proletariado,
pero yo sueño con una alternativa.

por ejemplo en mil novecientos treinta y seis,
barcelona en negro y rojo:
con la federación de los sindicatos
el pueblo agarraba a la justicia con arrojo.

o en la cuba del socialismo,
la democracia participativa,
los procesos de decidir en común,
llenan los barrios con vida.

y los hombres y las mujeres,
que luchan por el confederalismo democrático
para kurdistán y la liberación,
se defenden del fascismo maldito.

existen estas alternativas
en contra la dictatura del capital
pero no vale soñar con libertad,
debemos luchar para ella de manera global.

Creative Commons CC BY-NC-ND by Tintenwolf
(geschrieben am 23.01.2019,
als mp3 downloaden: mit Andi Luis Ferrer Pedroso 2019_scheinwelt_-_cd_cover_front)

In Zeiten wie diesen… – Zur Neuausrichtung des Tintenwolf-Projekts

Immer wieder rasen die Nachrichten dieser Tage auf mich ein und lassen mich ratlos zurück. Überall in der Welt sind konservative, nationalistische und wirtschaftsliberale Kräfte auf dem Vormarsch, die Klimaerwärmung scheint kaum noch aufzuhalten, die verschiedenen Supermächte leisten sich ein neues nukleares Wettrüsten und die Repressions- und Überwachungsapparate werden immer weiter aufgerüstet und zur Aufstandsbekämpfung scharf gemacht.1 Ob legitimer Protest gegen den G20-Gipfel in Hamburg oder die EZB-Neueröffnung in Frankfurt am Main niedergeschlagen, die freie Medienplattform linksunten.indymedia.de wegzensiert oder alternative Hausprojekte geräumt/bedroht werden,2 die Angriffe des Systems werden immer schärfer, wogegen eine progressive Opposition in weiter ferne scheint. Wo wir agieren müssten, ziehen wir uns viel zu oft in unsere herbeigeträumten Schutzräume zurück und ergeben uns unreflektiert szenigem Gehabe. Ein Zustand, den ich an dieser Stelle nicht zum ersten Mal kritisiere.3 Es kann schon als zynisch-lachhaft gelten, wie sehr CDU/CSU und AfD im Bündnis mit SPD und Grünen ihre völlig haltlose Extremismusdoktrin vorantreiben,4 wenn daneben die Unfähigkeit der progressiven Kräfte zur Organisation betrachtet wird. In Zeiten wie diesen ist mir viel zu selten nach meinem autonomen Hippie-Punk zumute, egal wie sehr mich Revolutions- und Sozialromantik doch zum Träumen anregen. Wenn uns heute in dieser Realität noch etwas gelingen soll, braucht es dringend eine neue übergreifende Form der Organisierung, die internationalistisch und klassenkämpferisch sein muss.5

Als kunst- und kulturschaffende Person tangiert mich diese Problematik natürlich auch in Bezug darauf, dass ich mir die Frage stellen muss, welchen Beitrag meine Gedichte derzeit noch leisten können. Natürlich werden sie nicht gleich alle aufhören, autonome Hippie-Punk-Lyrik zu sein, und wahrscheinlich werde ich auch weiterhin gerne mal in der einen oder anderen Szenelocation auftreten – ist die autonome Szene doch meine langjährige politische Heimat gewesen. Dennoch muss der Schwerpunkt unweigerlich auf einen (internationalistischen) Klassenkampf verschoben werden, wenn die Gedichte diesen Zeiten gerecht werden sollen. Dies wird optimaler Weise nicht nur in den Texten sondern auch in Kooperationspartner*innen und Zielpublikum deutlich. Um dies zu erreichen, plane ich künftig zweigleisig zu fahren. Ich will mich weiterhin bei ab dafür! records engagieren und mich zugleich bei RedHeadMusic einbringen, um auch im Bereich der Kunst als verbindendes Element zwischen verschiedenen progressiven Strömungen zu wirken. Auch hier glaube ich, dass wir nur als Einheitsfront stark sein können; dass wir trennende Narrative zwischen Marxist*innen und Anarchist*innen überwinden müssen;6 dass wir in Zeiten wie diesen nur in (internationaler) Kooperation zu einer progressiven Opposition gegen die herrschenden Umstände werden können.

Alle Macht den Kommunen!
Keine Macht für irgendwen!

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