Hermann, Siegfried, Dolchstoß – Die Varusschlacht im politischen Diskurs der Weimarer Republik

Art des Textes: Seminararbeit
Seminar: Schlacht im Teutoburger Wald
Modul: Einführung in die Alte Geschichte
Dozentin: Prof. Dr. Sabine R. Huebner

Gliederung

1 Einleitung

2 Drei Ereignisse überschneiden sich

2.1 Wer war Hermann der Cherusker?

2.2 Siegfried und die Nibelungensage

2.3 Was ist die Dolchstoßlegende?

2.4 Hermann und Siegfried

2.5 Hagen und der Dolchstoß

3 Symbolische Mystifizierung der Varusschlacht in der Weimarer Republik

3.1 Hermanns Rolle für Nationalkonservative und Nationalsozialist*Innen

3.2 Deutung Hermanns auf Seiten der Republik

4 Fazit

Anhang »Tabellarische Darstellung der Mythenkopplung«

Fußnoten und Literatur

Weitere Literatur

 

1 Einleitung

Häufig wird die Narration der Geschichte Deutschlands mit Hermann dem Cherusker und der Varusschlacht begonnen. Ihm wird nachgesagt, die Stämme der Germanen geeint zu haben, bevor er einem Meuchelmord aus der eigenen Familie zum Opfer fiel. Noch heute wird er von vielen populärwissenschaftlichen Sendungen und Artikeln in dieser Rolle gedeutet und der Blick auf ihn durch Mystifizierung getrübt. Noch heute nimmt er in dieser Rolle vor allem für Nationalkonservative und Neonazis die Position eines Nationalhelden ein. Der Stoff um den germanischen Aufstand gegen Rom scheint gut geeignet, vor allem nationalistische Ideologien zu propagieren.

Hochkonjunktur hatten entsprechende Deutungen während der Weimarer Republik, als Nationalist*Innen1 unterschiedlichster Couleur sich durch die Novemberrevolution, die Ausrufung der Republik und den Vertrag von Versailles um ihre Chance auf einen Sieg im Weltkrieg gebracht sahen. Die Dolchstoßlegende ließ sich auf wunderbare Weise mit dem Mord an Hermann verbinden. Ähnlich wie dieser, nicht in der Schlacht geschlagen sondern durch heimtückischen Verrat zu Fall gebracht, wollten sich auch die Eliten aus Armee und ehemaligem Kaiserreich sehen. Dass Hermann der Cherusker in den Erzählungen zu dieser Zeit schon lange mit Siegfried dem Drachentöter und somit mit dem Nibelungenlied, einer der beliebtesten deutschen Heldensagen, verbunden war, konnte in diesem Sinne nur nutzen. So half die Verbindung von realer Geschichte und Sage, erstere der Wirklichkeit zu entheben und ihr einen mythischen Glanz zu verleihen.

In der vorliegenden Arbeit soll die Rolle der Varusschlacht im politischen Diskurs der Weimarer Republik untersucht werden. Hierzu findet zuerst eine Betrachtung der drei Narrationen um Hermann, Siegfried und die Dolchstoßlegende sowie ihre konstruierte Verstrickung miteinander statt. Anschließend soll die propagandistische Deutung durch Nationalkonservative und Nationalsozialist*Innen aber auch durch die Anhänger*Innen der Republik betrachtet werden.

Nicht untersucht werden soll in dieser Arbeit, wie nahe die Sicht auf die Varusschlacht, wie sie in der Weimarer Republik geschah, an gegewärtige durch verschiedenste textbasierte wie auch archäologische Quellen belegbare historische Sichtweisen heranreicht. Die in dieser Arbeit wiedergegebene Sicht auf die Varusschlacht entstammt somit dem Stand zur Zeit der Weimarer Republik. Die Kopplung von Varusschlacht und Nibelungenlied werden dargestellt aber nicht hinterfragt. Ziel der Arbeit ist es vielmehr zu betrachten, wie eben diese, damals vorherrschende Deutung und Verbindung der Ereignisse, sich auf die Verwendung im politischen Diskurs der Weimarer Republik niederschlug.

Von besonderer Bedeutung für diese Arbeit war die Promotion von Prof. Dr. Andreas Dörner unter dem Titel »Politischer Mythos und symbolische Politik. Sinnstiftung durch symbolische Formen am Beispiel des Hermannsmythos«. Diesem Buch entstammen viele Ideen, die in der Untersuchung der drei einzelnen Ereignisse aber auch ihrer Vermischung und propagandistischen Verwendung nützlich waren. Die Betrachtung der Varusschlacht wurde vor allem durch die Annalen von Tacitus gestützt und für die Zusammenfassung der Nibelungensage ist fast ausschlließlich die Lieder-Edda verwendet worden, die auch während der Weimarer Republik schon die wichtigste Quelle für diese Thematik bot.

2 Drei Ereignisse überschneiden sich

Besonders interessant an der Rezeption der Varusschlacht im politischen Diskurs ist die konstruierte Überschneidung mit zwei weiteren Ereignissen. So fand eine mystisierende Verknüpfung der Varusschlacht mit der Nibelungensage und dem Ende des Ersten Weltkrieges statt, welche Dörner in seinem Buch als »Mythenkoppelung« und »Mythensyndrom« bezeichnet.2 Vor allem diese Verwebung der drei Erzählungen um Hermann, Siegfried und den Dolchstoß gilt es zu untersuchen, um die propagandistische Wirkung der Varusschlacht in der Zeit der Weimarer Republik zu verstehen. Im Folgenden sollen nun diese drei Ereignisse im Einzelnen geschildert und anschließend ihre konstruierte Verknüpfung dargestellt werden.

2.1 Wer war Hermann der Cherusker?

Der Name Hermann könnte ursprünglich von Martin Luther stammen und setzte sich aus einer Übersetzung für Heer und Mann, also einer Bezeichnung für Heerführer zusammen.3 Der Nameszusatz »der Cherusker« kann wohl als Hinweis auf seine Stammeszugehörigkeit bei den Cheruskern angesehen werden.4 In älteren römischen Quellen wird der Name Arminius verwendet. Sein ursprünglicher cheruskisch-germanischer Name ist nicht überliefert.5

Arminius wurde als Sohn des Cheruskerfürsten Segimer um das Jahr 17 v. Chr. geboren. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Flavus wurde er als Geisel in der römischen Armee ausgebildet und wurde für seine Verdienste zum Ritter erhoben.6 Im Jahr 7 oder 8 n. Chr. kehrte er an der Seite des römischen Statthalters Publius Quinctilius Varus in das Stammesgebiet der Cherusker zurück. Zeitnah soll er Thusnelda, die Tochter des Cheruskerfürsten Segestes und Verlobte des Chattenfürsten Adgandestrius, entführt und zur Frau genommen haben.7

Arminius wechselte die Seite und begann, die Cherusker und weitere germanische Stämme gegen Rom zu organisieren. Im Jahr 9 n. Chr. überfiel er drei römische Legionen unter der Führung von Varus auf deren Weg vom Sommerlager östlich des Rheins in das Winterlager bei Xanten und löschte diese in der Schlacht im Teutoburger Wald, welche nach dem römischen Befehlshaber auch Varusschlacht genannt wurde, fast vollständig aus. Als Folge dieser militärischen Niederlage wurde die Provinz Germanien von Rom aufgegeben und eine dauerhafte Grenze entlang des Rheins eingerichtet.8

Im Jahr 21 n. Chr. wurde Arminius nach Jahren innergermanischer Konflikte von seinen eigenen Verwandten ermordet.9 Hierfür könnte Adgandestrius in Frage kommen, der den Römern die Ermordung des Arminius zuvor angeboten hatte und der durch den einstigen Brautraub auch ein mögliches Motiv hatte.10 Die Bündnisse unter den germanischen Stämmen zerfielen in der Folge von Arminius Tod.11

2.2 Siegfried und die Nibelungensage

Die wohl wichtigste Quelle der Sage von Siegfried dem Drachentöter und seinen Nibelungen sind die Heldengesänge aus der Lieder-Edda. Sie ist eine Sammlung altnordischer Götter- und Heldensagen in Versform und wurde 1270 in Island zusammengestellt. In Abgrenzung zur Snorra-Edda von Snorri Sturluson wird sie auch Ältere Edda genannt. In ihr wurde beschrieben, wie Sigurd – dies ist der germanische Name für Siegfried – auf das Bitten des Zwerges Regin mit dem Schwert Gram in die Gnitaheide ging, um dort den Drachen Fafnir zu erschlagen. Durch einen Hinterhalt gelang es ihm, den Drachen beim Verlassen seiner Höhle zu stellen und seinen Hort samt Tarnkappe und Nibelungenring zu erbeuten.12 Das Bad im Blute des Drachen sollte ihn unverwundbar machen. Ein Lindenblatt, welches auf seine Schulter fiel, ließ jedoch eine Lücke in diesem Schutz. In der Folge erschlug Sigurd den Zwerg Regin, nachdem ihn die Vögel gewarnt hatten, dass dieser ihn hinterlistig töten wolle.13

Anschließend half Sigurd, der Edda zufolge, dem König Gunnar, die Walküre Brynhild zu freien und nahm hierfür dessen Schwester Gudrun zur Frau. Am Hofe des Königs bildeten sich aus Missgunst und einem Streit zwischen Brynhild und Gudrun Intrigen gegen Sigurd. Diese gipfelten in der Ermordung Sigurds durch des Königs getreuen Högni, der in späteren Versionen Hagen von Tronje genannt wurde. Als Sigurd während einer Jagd ans Wasser trat um zu trinken, stieß ihm Högni seinen Speer in die verwundbare Stelle an der Schulter.14 Über den Mord an Sigurd entzweit, zerstritt sich die Sippe nun und fand fast vollständig ihren Tod am Hof des Hunnenkönigs Atli.15

2.3 Was ist die Dolchstoßlegende?

Am 29. Oktober 1918 meuterten die Matrosen der deutschen Hochseeflotte in Wilhelmshaven gegen die Durchhalteparolen vom Kaiser und der Obersten Heeresleitung und es begann die Bildung von Arbeiter*Innen- und Soldatenräten. In München und Berlin erhoben sich revolutionäre Bewegungen, die zur Abdankung des Kaisers Wilhelm II. und zur Ausrufung der »Deutschen Republik« durch Philipp Scheidemann sowie der »Freien Sozialistischen Republik Deutschland« durch Karl Liebknecht führten. Zwei Tage später wurde in einem Eisenbahnwagen nahe der französischen Stadt Compiègne ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Es folgte die Unterzeichnung des Friedensvertrages im Spiegelsaal von Versailles am 28. Juni 1919.16

In nationalkonservativen und aufkommenden nationalsozialistischen Kreisen wurden diese Entwicklungen, welche zum Ende des Ersten Weltkrieges führten, ab Anfang der 1920er Jahre im Rahmen der »Dolchstoßlegende« gedeutet. Sie sieht die Schuld an der deutschen Niederlage bei sozialistischen und republikanischen Verräter*Innen, die den heldenmütigen Soldaten an der Front einen Dolch in den Rücken gestoßen hätten. Der Grund für die Niederlage wird hierbei nicht in der Sinnlosigkeit weiterer militärischer Auseinandersetzungen oder der Unterlegenheit des deutschen Heeres gegenüber den Alliierten gesucht, sondern im Verrat aus den eigenen Reihen.17 Andreas Dörner gibt dieses wichtigste Argument der Dolchstoßlegende mit »im Felde unbesiegt, von der Heimat erdolcht« wieder. Als Ursache hierfür wurde von Nationalkonservativen ein Mangel an deutschem Nationalgefühl gesehen.18

2.4 Hermann und Siegfried

Der Generalmajor a.D. Haenichen erarbeitete zum Jahr 1933 hin seine militärhistorische Schrift »Wie siegten die Germanen im Teutoburger Wald?«, in welcher er die Strategien der Germanen in der Varusschlacht zu ergründen suchte. Neben römischen Historikern galten ihm hierbei auch die Heldengesänge über den Drachentöter Siegfried aus der Edda als Quelle. So versuchte Haenichen die Varusschlacht, wie viele seiner Zeitgenoss*Innen, mit Hilfe der Nibelungensage zu deuten.19

Diese Deutung folgt einer Tradition, welche ihren Ausgang im beginnenden 19. Jahrhundert hat und die Nibelungensage als Überlieferung der Ereignisse um Hermann den Cherusker sieht.20 So wird der Drachenhort als Umschreibung des Römerlagers und der Drache Fafnir als personifizierte römische Legion verstanden. Ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. wurde die Dracostandarte zum Feldzeichen der römischen Legionen. Dieser Zeitpunkt befindet sich jedoch mehr als dreihundert Jahre nach der Varusschlacht, zu deren Zeit noch Adlerstandarten als Legionsabzeichen genutzt wurden.21 Weitere Überschneidungen können in das Ableben des Hermann hinein gedeutet werden. So lässt sich der Name des Hagen von Tronje auch über Hadgan von dem Namen Adgandestrius ableiten. So wie Hagen den im Kampf unbezwungenen Siegfried mit einem Speer in den Rücken ermordete, konnte auch Hermann nur durch Verrat aus seinem nächsten Umfeld, unter Umständen durch Adgandestrius, gemeuchelt werden.22

Haenichen ging weiter und nahm den mythologischen Begriff Gnitaheide als Namen des Ortes der Varusschlacht an. Aus dem Hinterhalt Siegfrieds gegen Fafnir direkt vor dessen Hort deutete Haenichen, dass Hermann das Römerlager des Varus direkt angegriffen haben müsse, und in dem Bad im Drachenblut sah er eine Metapher auf die Erbeutung von Römerwaffen und -rüstungen. Den Schatz des Fafnir setzte er mit der Legionskasse gleich.23

Diese Betrachtung der Nibelungensage als Rezeption der Varusschlacht durch Haenichen zeigt auf, wie fest das mythologische Ereignis selbst die Erforschung der Geschichte der Varusschlacht in der Weimarer Republik prägte. Diese als wahr angenommene Überschneidung der beiden Ereignisse konnte propagandistisch verarbeitet werden, was sich um so stärker anbot, da diese Betrachtung, wie die Arbeit von Haenichen zeigt, wissenschaftlich korrekt erschien.24

2.5 Hagen und der Dolchstoß

Vor allem über den heimtückischen Verrat Hagens an Siegfried und die damit gleichgesetzte Ermordung Hermanns durch seine Verwandten, wurde in der Weimarer Republik häufig eine Verbindung der Geschehnisse der Varusschlacht mit der in politisch rechtsgerichteten Kreisen sehr populären Dolchstoßlegende propagiert. So schreibt Chlodwig Lange 1925 in einem Reiseführer über den Teutoburger Wald: »Bald entbrannte in Germanien ein mörderischer Volkskrieg. Hermann wurde beschuldigt, er strebe nach der Alleinherrschaft, und fiel, nachdem die Parteien mit wechselndem Kriegsglück gestritten hatten, 21 n. Chr. im zwölften Jahre nach dem Siege im Teutoburger Walde, unter dem Dolche der Meuchelmörder. Angeblich sollen es seine eigenen Verwandten gewesen sein, die den 37jährigen auf so tückische und schmachvolle Art zu Fall brachten.«25

Sowohl in der Ermordung von Hermann durch seine Verwandten, als auch dem Speer, welchen Hagen dem Drachentöter Siegfried in den Rücken stieß, wurde ein Gleichnis zu dem Dolch gesehen, welchen Sozialist*Innen und Republikaner*Innen den deutschen Frontsoldaten durch die Novemberrevolution angeblich in den Rücken stießen. Auf diese Weise konnte nicht nur ein Gleichnis der politischen Feind*Innen mit heimtückischen Verräter*Innen aufgebaut, sondern auch die Armee mit dem strahlenden Helden identifiziert werden. Die Schuld an der Niederlage im Ersten Weltkrieg musste somit nicht mehr als militärische Niederlage anerkannt werden. Zudem diente die Gleichsetzung mit einem nationalen Mythos dazu, eben diese Verräter*Innen als Verräter*Innen an der deutschen Nation an sich darzustellen.26

3 Symbolische Mystifizierung der Varusschlacht in der Weimarer Republik

Der politische Diskurs in der Weimarer Republik war vor allem durch starke nationalkonservative und nationalsozialistische Kräfte auf der einen Seite und nahezu ebenso schlagkräftige autoritär-sozialistische und kommunistische Gruppierungen auf der anderen Seite, sowie einer relativ schwachen Führung der politischen republikanischen Institutionen geprägt. Vernichtungssemantik und Militarismus waren bei nahezu allen politischen Akteur*Innen vorzufinden. Fahnen, Kampflieder, Kampfbegriffe und Uniformen gehörten als wichtige Symboliken zum politischen Alltag.27

In dieser politisch aufgeladenen Situation konnte die Erzählung von der Schlacht der Germanen gegen die Römer unter Hermann dem Cherusker als politischem Führer und Vereiniger der germanischen Stämme, mit der Sage der Nibelungen und einer Umdeutung der Ereignisse aus dem Spätherbst 1918 zur Dolchstoßlegende in Verbindung gebracht werden und deshalb ihre volle symbolische Wirkkraft entwickeln.28 Besonders beliebt war in diesem Rahmen das 1821 unter dem Eindruck der napolionischen Besatzung veröffentlichte Drama »Die Hermannsschlacht« von Heinrich von Kleist, welches in der ganzen Republik in verschiedensten Inszenierungen aufgeführt wurde. Mal wurde Hermann im Sinne der Weimarer Republik gedeutet, weit häufiger wurde er jedoch in den Dienst der Ideologien rechts von dieser gestellt.29

3.1 Hermanns Rolle für Nationalkonservative und Nationalsozialist*Innen

Besonders auffällig ist, dass versucht wurde, das Ende des Ersten Weltkrieges als Ereignis neben jenen historischen Geschehnissen aus dem Leben des Hermanns und der Sage um Siegfried, welche in der Lieder-Edda überliefert ist, zu mystifizieren. So sind die Deutungsmuster im rechten politischen Spektrum der Weimarer Republik durch mehrere Parallelen gekennzeichnet.30 Held der Erzählung sind je nachdem Hermann, Siegfried bzw. das deutschen Militär. In die Rolle des Antihelden schlüpfen die Verwandten des Hermann, Hagen von Tronje und die Sozialist*Innen, Kommunist*Innen und Republikaner*Innen, welche sich gegen eine Fortführung des Krieges wandten. Der Tod des Helden wurde vom Antihelden wahlweise durch Meuchelmord, einen Speer in den Rücken oder einen Dolchstoß herbeigeführt. Und auch einen Sieg sollte jeder der Helden vorzuweisen haben. So besiegte Hermann drei römische Legionen, Siegfried den Drache Fafnir und das deutsche Heer war zumindest im Felde als unbesiegt deklariert worden. Selbst ein Befreiermythos, wie er um Hermann gewoben wurde, stand für die Mystifizierung der Nationalkonservativen in der Person Paul von Hindenburgs31 und später bei Nationalsozialisten in Form des Führers bereit.32

Diese Mythenkopplung ließ sich nun als propagandistisches Werkzeug gegen die Republik verwenden. Diese war überhaupt erst durch die Novemberrevolution möglich geworden und konnte somit als ehrlos und untreu gegenüber den Vorbildern aus Nibelungenlied und Varusschlacht dargestellt werden. Es wurden in diesem Rahmen nicht mehr der Erfolg von Hermann in der Varusschlacht und der Sieg Siegfrieds über den Drachen betrachtet, sondern nur noch die Ermordung der beiden Helden und der Zusammenbruch des von ihnen als Anführer Geschaffenen. Hierbei fiel der Blick vor allem auf das nach der zeitgenössischen Geschichtsschreibung von Hermann geeinte und nach ihm zerfallene Germanien als Ausgangspunkt der Deutschen Nation.33 Die Idee eines starken Anführers als Befreier von der »Fremdherrschaft« der Besatzer, welche mit der Anwesenheit römischer Legionen im alten Germanien gleichgesetzt wurde, brach ebenfalls in zweifacher Hinsicht mit der Republik. Einerseits wurde dieser die Schuld für die Besatzung zugeschoben, andererseits stand die parlamentarische Demokratie im Gegensatz zu der Vorstellung eines herrschenden Anführers.34

Es war wohl gerade diese Kopplung von Mythen und Drama an die Ereignisse der Gegenwart der Weimarer Republik, die es ermöglichte, aktuelles Tagesgeschehen symbolisch und damit auch derart emotional aufzuladen, dass sie zu einer propagandistischen Waffe gegen die Republik wurden. So wurde gerade das bereits erwähnte, kleistsche Drama »Die Hermannsschlacht« vielfach aufgeführt und in den Kontext einer nationalen Befreiung vom »Joch von Versailles« und dem Ruf nach dem Ende der Republik, mal zu Gunsten eines Kaisers und mal zu Gunsten eines Führers, gestellt. Entsprechend aufgeladen fielen dann auch die Inszenierung und ihre Rezeptionen in den Zeitungen aus.35

3.2 Deutung Hermanns auf Seiten der Republik

Wie schon angedeutet, gab es auch von Seiten der Weimarer Republik und den in ihr etablierten politischen Institutionen und somit republikanischen Parteien Ambitionen, die Varusschlacht für sich und die Republik zu nutzen. In diesem Rahmen wurden die Narrationen um Varusschlacht und Nibelungenlied, jedoch zumeist nicht jene um die Dolchstoßlegende, verwendet, wurde letztere durch politische Feind*Innen doch als Instrument der Denuntiation der Republik genutzt. Doch selbst hierfür führt Dörner ein Beispiel an. So wurde General Ludendorff in einer Broschüre ein Dolchstoß von vorne vorgeworfen, welcher, wäre der Krieg, wie von diesem gefordert, fortgeführt worden, die »gänzlich[e] militärisch[e] Zertrümmerung« Deutschlands zur Folge gehabt hätte.36

Sich dagegen auf die sprichwörtliche Treue der Nibelungen und auf Hermann als Einiger zu berufen, schien auch in diesen Kreisen als durchaus angemessen. Ohne die Verbindung mit der Dolchstoßlegende verloren die Mythen jedoch ihre Verankerung in der Gegenwart und somit einen Großteil ihrer symbolischen und daraus resultierenden propagandistischen und emotionalen Kraft. Sie können mehr im Sinne einer Meisternarration gesehen werden, wie sie verwendet wird, um eine linear verlaufende Geschichte zu beschreiben und auf einen bestimmten Punkt in dieser als einzige schlüssige Konsequenz der vorangegangenen Ereignisse hin zudeuten.37 Dies geschah eher in einem noch heute vielfach als Ausgangspunkt deutscher Nationalgeschichte dargestellten Sinne.38

Da die Verbindung der Mythen um Varusschlacht und Nibelungenlied mit der Dolchstoßlegende jedoch weitestgehend den politischen Gegner*Innen rechts der Republik vorbehalten blieb, konnte die emotionale Komponente der Mythenkopplung weit weniger stark ausgenutzt werden. Ihre symbolische und die daher rührende emotionale Sprengkraft erlangte sie erst durch die Verbindung mit den Ereignissen der damaligen Gegenwart. Diese waren aber an die Dolchstoßlegende um die Novemberrevolution von 1918 und die damit verbundene Gründung der Weimarer Republik gebunden.39

4 Fazit

Im Rahmen dieser Arbeit wurden zunächst die drei einzelnen Mythen um Hermann den Cherusker, Siegfried den Drachentöter und die Dolchstoßlegende beleuchtet. Anschließend wurde gezeigt, dass sich diese Mythen im Rahmen der historischen Erkenntnisse zur Zeit der Weimarer Republik anhand von Elementen in der Erzählstruktur verbinden ließen bzw. in der damaligen Lebensrealität tatsächlich als zusammengehörig erschienen. Diese Verbindung wurde von Dörner »Mythenkopplung« genannten. Zum Schluss wurde untersucht, dass diese Mythenkopplung teilweise zusätzlich konstruiert war, um im politischen Diskurs der Weimarer Republik die Oberhand zu erlangen.

Diese propagandistische Verschmelzung wurde mit besonderem Erfolg von den nationalkonservativen und nationalsozialistischen Kräften betrieben, welche ihren Kampf gegen die Weimarer Republik nicht nur militant sondern in besonderem Maße auch mittels dieser Symboliken der Mythenkopplung führten. So wurde sie verwendet um die Notwendigkeit eines starken Anführers wie Hermann oder Siegfried herauszustellen und in gleichem Maße Republikaner*Innen, Sozialist*Innen und Kommunist*Innen anzugreifen, da diese mit der Verbindung von Dolchstoß und Meuchelmord an Hermann bzw. Siegfried zu Meuchler*Innen und in diesem Sinne zu Verbrecher*Innen degradiert wurden. Die Kopplung der Dolchstoßlegende an den emotional aufgeladenen Komplex um Siegfried und Hermann bot somit die Möglichkeit, auch dieser besonders emotionalen Nachdruck zu verleihen. Zudem fügt sich die Degradierung der politischen Feind*Innen zu Verbrecher*Innen in die den politischen Diskurs beherrschende Vernichtungssemantik.

Die Anhänger*Innen der Weimarer Republik sahen sich bei der Verwendung der Mythenkopplung von Hermann, Siegfried und Dolchstoß dagegen in einem Abwehrkampf. Für sie blieb die Varusschlacht eher in ihrer Bedeutung als Gründungsmythos der Deutschen Nation erhalten.

Anhang »Tabellarische Darstellung der Mythenkopplung«

Ereigniss / Mythos Varusschlacht Nibelungenlied Dolchstoßlegende
Held Hermann der Cherusker Siegfried der Drachentöter Das deutsche Militär
Antiheld Adgandestrius; die eigene Verwandtschaft des Hermann Hagen von Tronje Sozialist*Innen, Kommunist*Innen und Republikaner*Innen
Tod des Helden Meuchelmord Speer in den Rücken Dolchstoß
Held besiegte… drei Legionen der Römischen Armee den Drache Fafnir war zumindest »im Kriege unbesiegt.«40
Befreiermythos Hermann befreite Germanien von den Römern.41 Siegfried der Drachentöter Hindenburg befreite das Deutsche Reich.42

Fußnoten und Literatur

1 In dieser Seminararbeit wird mithilfe des Gender Gap und des Binnen-I gegendert, da das generische Maskulinum allzu schnell vergessen lässt, dass Menschen nicht nur männlich sondern unterschiedlichsten sozialen und/oder biologischen Geschlechts sein können. Zitate, Eigennamen von Organisationen und Angehörige ausschließlich männlicher Gruppierungen, wie z.B. Soldaten des Deutschen Heeres im Weltkrieg, bleiben hiervon unberührt.

2 Dörner, Andreas: Politischer Mythos und symbolische Politik. Sinnstiftung durch symbolische Formen am Beispiel des Hermannsmythos, Opladen 1995, S. 307 ff.

3 Luther, Martin: Werke, Kritische Weimarer Gesamtausgabe, Tischrede 5982. zitiert nach: Sandow, Erich: Vorläufer des Hermannsdenkmals. – In: Engelbert, Günther (Hrsg.): Ein Jahrhundert Hermannsdenkmal 1875–1975. Detmold 1975, S. 105-129, S. 107.

4 Paterculus, Velleius / Giebel, Marion [Übers.]: Historia Romana. Römische Geschichte. Lateinisch / Deutsch, Stuttgart 1989, Bibliographisch ergänzte Ausgabe (2004), S. 223 ff. (II,105).

5 Paterculus 1989, S. 223 ff. (II,105) & Tacitus, Cornelius: Annalen; Stuttgart 2013, S. 52 f. (1,55).

6 Paterculus 1989, S. 249 (II,118).

7 Tacitus 2013, S. 52 f. (1,55).

8 Kinder, Hermann / Hilgemann, Werner: dtv-Atlas Weltgeschichte. Band 1 – Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution, München 1964, 40. Auflage (2011), S. 95.

9 Tacitus 2013, S. 137 f. (2,88).

10 Ebenda, S. 52 f. (1,55).

11 Die Zwietracht der germanischen Stämme ist unter anderem in der Germania von Tacitus erwähnt, welche auf das Jahr 98 n. Chr. und somit nach dem Tod von Arminius datiert wird. Tacitus, Cornelius: Germania, Stuttgart 1971, Bibliografisch ergänzte Ausgabe (1997), S. 25.

12 Genzmer, Felix [Übers.]: Die Edda. Götterdichtung, Spruchweisheit und Heldengesänge der Germanen, Kreuzlingen/München 1981, S. 249 ff. (Das Lied vom Drachenhort).

13 Ebenda, S. 259 ff. (Fáfnismál und Reginsmál).

14 Ebenda, S. 204 ff. (Das alte Sigurdlied).

15 Ebenda, S. 209 ff. (Das alte Atlilied).

16 Kinder, Hermann / Hilgemann, Werner / Hergt, Manfred: dtv-Atlas Weltgeschichte. Band 2 – Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, München 1966, 41. Auflage (2011), S. 411 f.

17 Dörner 1995, S. 315.

18 Ebenda, S. 16.

19 Haenichen, Friedrich Wilhelm: Wie siegten die Germanen am Teutoburger Wald?. Lagersturm und Verfolgungskampf, Berlin 1933.

20 Schulte-Wülwer, Ulrich: Das Nibelungenlied in der deutschen Kunst und Kunstliteratur zwischen 1806 und 1871, Kiel 1974, S. 74.

21 Jöckel, Markus: Woher kommt das Wort Drache? – In: Schmelz, Bernd / Vossen, Rüdiger (Hrsg.): Auf Drachenspuren. Ein Buch zum Drachenprojekt des Hamburgischen Museums für Völkerkunde, Bonn 1995, S. 27 f.

22 von Rohden, Paul: Adgandestrius – In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Band I,1, Stuttgart 1893, Sp. 359.

23 Haenichen 1933, S. 8 f.

24 Haenichen 1933.

25 Lange, Chlodwig: Hermann – Hermannsschlacht – Hermannsdenkmal. Was der Besucher des Teutoburger Waldes wissen muß, Lage 1925, S. 22.

26 Dörner 1995, S. 309 f.

27 Ebenda, S. 296 ff.

28 Ebenda, S. 307 f.

29 Ebenda, S. 322 ff.

30 Diese sind von mir im Anhang auch tabellarisch dargestellt. Siehe hierzu »Tabellarische Darstellung der Mythenkopplung«.

31 Dörner 1995, S. 317 f.

32 Brooker, Paul: The Faces of Fraternalism. Nazi Germany, Fascist Italy, and Imperial Japan, Oxford 1991, S. 88 ff.

33 Dörner 1995, S. 314.

34 Hierzu kann die »Weimarer Verfassung« (dtv Band 2, S. 426) mit der »Verfassung des Deutschen Reiches« (ebenda, S. 354) und dem Führerprinzip (ebenda, S.461) verglichen werden.

35 Dörner 1995, S. 324 ff.

36 Ebenda, S. 310 f. (Fußnote 24).

37 Ebenda, S. 310 f. und S. 334.

38 So begann zum Beispiel die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums in der Straße Unter den Linden in Berlin in den Jahren 2006 bis Anfang 2014 mit der Varusschlacht (»Frühe Kulturen und Mittelalter: 100 v. Chr. – 500 Kelten, Germanen und Römer«).

39 Dörner 1995, S. 309 ff.

40 Nach Dörner 1995, S. 315 f. ein Zitat aus Tacitus 2013, S. 137 f. (2,88) über Hermann den Cherusker, welches für einen Artikel verwendetet und dort auf das deutsche Heer angewandt wurde.

41 Dörner 1995, S. 317 f.

42 Ebenda, S. 317 f.

Weitere Literatur

Geringer, Sandra: Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz, Stuttgart 2013.

Hamkens, Freerk Haye: Die germanischen Heiligtümer im Teutoburger Wald. Führer durch die Externsteine und den Sternhof Oesterholz. Bad Pyrmont 1935.

Download:
Wolfstatze, Meas: Hermann, Siegfried, Dolchstoß. Die Varusschlacht im politischen Diskurs der Weimarer Republik; Berlin 2014.

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