Tag Archiv für geschichte

Den Rücken gerade machen

Frieda Anna Emma »Friedel« Behrens (geborene Herde)

Als ich jugendlich war, glaubte ich fest daran, die Revolution einst selbst zu erleben, welche uns eine freiheitliche, sozialistische Welt bringen würde, in der ein Leben in Gerechtigkeit und Frieden sowie im Einklang mit dem Planeten möglich wäre. Im Angesicht eines uns heutzutage offen bewussten, von Menschen gemachten Klimawandels, gegen welchen der politische Überbau des Kapitalismus nichts unternehmen kann, ohne mit seiner wirtschaftlichen Basis zu brechen, unter dem Eindruck eines massiven rassistischen Rechtsrucks in der Gesellschaft, der alle parlamentarisch relevanten Parteien ergriffen hat und Menschen mit Fluchthintergrund mit immer neuen unmenschlichen Attacken begegnet, mit Blick darauf, dass der Ruf »Nie wieder« parteipolitisch banalisiert wird, während der Genozid an den Palästinenser*innen auch unter deutscher Beihilfe stattfindet, und in Betrachtung einer Militarisierung der Gesellschaft, die vor allem von den Propagandamedien des Staats und der Konzerne aber auch von den herrschenden rechten Parteien gegen andere imperiale Blöcke vorangetrieben wird, scheint mir eine fortschrittliche Revolution aktuell wie eine Träumerei, die Zeit der Träume jedoch ist vorbei.

Mutlosigkeit droht mich oft zu überwältigen, ist ein Überwinden der kapitalistischen Verhältnisse wegen der von ihnen beförderten drastischen Zerstörung unserer Lebensgrundlagen auf diesem Planeten doch so wichtig wie nie zuvor, wollen wir als Spezies Mensch erhalten bleiben. Die Einsicht in die Notwendigkeit und durch das Wissen, um andere, die auch durchhalten, lässt mich weiterkämpfen.

Oma Friedel und ich

Und dann denke ich wieder an die Lebensgeschichte meiner Uroma Frieda Anna Emma »Friedel« Behrens (geborene Herde). Sie war während der Weimarer Republik in der Roten Hilfe organisiert und während der Herrschaft des Deutschen Faschismus im Widerstand aktiv. Mein Uropa Ernst Joachim Fritz Behrens – ihr Mann – saß damals gleich zu Beginn ein. Später waren die Beiden am Aufbau des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden – eines Experiments mit vielen Schwierigkeiten und auch Fehlern, wie wir heute wissen – beteiligt, gehörten zu dessen Botschaftspersonal in Korea und der Schweiz, packten wo es zu helfen galt mit an. 1989/90 – mein Uropa war bereits 1979 verstorben – musste Uroma Friedel miterleben, wie der Versuch einer besseren Gesellschaft, dem sie ihr Leben gewidmet hatte, von der BRD annektiert, damit ausgelöscht und dämonisiert wurde. Bis zu ihrem Tod am 5. Februar 1993 hat sie immer Zuversicht ausgestrahlt. Wer bin ich, dass ich mich gehen lassen dürfte, weil es gerade schwierig ist? Unsere Situation heute ist noch längst nicht mit der meiner Uroma zwischen 1933 und 1945 vergleichbar – wenngleich wir wachsam bleiben müssen, dass sie es nicht wieder wird – und Friedel blieb bis zu ihrem Tod eine Kämpferin. Sie ist eines der Vorbilder, die mich weiterhin den Rücken gerade machen und weiterkämpfen lassen, gerade jetzt da die Zeit der Träume vorbei ist.

#DieZeitDerTräumeIstVorbei #WehretDenAnfängen!

Die TAZ als Hort des Geschichtsrevisionismus

Wer sich wissenschaftlich und professionell mit Geschichte beschäftigt, wird die Gleichsetzungen von Putin mit Stalin oder Hitler immer und konsequent als Geschichtsrevisionismus zurückweisen. Das hängt nicht damit zusammen, dass Putin kein Diktator mit imperialen Interessen wäre, sondern damit, dass sie eben einfach inadäquat sind, damalige Verbrechen verschleiern und zusätzliche emotionale Aufladung schaffen, wo schon mehr als genug Emotionen im Spiel sind. Wer Putin zusätzlich dadurch dämonisieren will, dass dieser mit Hitler gleichgesetzt wird, verschleiert den Blick auf dessen tatsächliche Verbrechen heute und verharmlost zugleich die Verbrechen des NS-Faschismus. Ähnlich verhält es sich mit der Gleichsetzung mit Stalin.

Noch schlimmer geht es nur, wenn die TAZ als angeblich linke Zeitung heutzutage offene Neonazis zu Wort kommen lässt, die dann folgendes behaupten: »Die tatsächliche Geschichte des Zweiten Weltkrieges [sei], dass Stalin diesen Krieg geplant [hätte], der die ganze Welt erfassen und erst enden sollte, wenn auch noch die letzte argentinische Sowjetrepublik ein Teil der UdSSR geworden sein würde. Er [hätte] diesen Krieg geplant – lange bevor Hitler an die Macht kam.«

Wer die Behauptung aufstellt, nicht Nazideutschland sondern die Sowjetunion hätte den Zweiten Weltkrieg begonnen, macht sich faschistischer Geschichtsklitterei schuldig. Die TAZ wird für aufrechte Antifaschist*innen so lesbar wie die »Junge Freiheit« oder jedes andere NS-Magazin. Wenn dann auch noch die Behauptung dazukommt, die mit der SS paktierende OUN sei ja eigentlich gut und einer monströsen Verfolgung durch die Rote Armee ausgesetzt gewesen, wie sie später auch durch die Nordvietnamesische Befreiungsbewegung gegen den US-Imperialismus und den durch eine Militärdiktatur beherrschten Süden angewandt worden wäre, dann ist das eine perverse Täter-Opfer-Umkehr, wie sie nur durch die zynischsten Rechtsradikalen begangen wird.

Die TAZ zeigt damit, dass sie sich offen auf die Seite von Banderismus und Hitlerismus stellt. Ein Weg, den gerade leider viel zu viele einst linksliberale Hippster einschlagen.

https://taz.de/Vom-Kult-des-Sieges-zum-Kult-des-Krieges/!5851531/

Nachtrag: Siehe einer an: Die Autorin des TAZ-Artikels – Julija Leonidowna Latynina – fand die Apartheid in Südafrika gar nicht so schlecht, glaubt den durch Menschen gemachten Klimawandel gäbe es nicht, meint, dass die Ermordeten von Utøya sich halt hätten wehren müssen, sieht in freien Wahlen & sozialen Leistungen durch den Staat ein Übel und hält u.a. Menschenrechte sowie soziale Gerechtigkeit für »verderbliche sozialdemokratische Prinzipien«. Das nur noch als Nachtrag… (https://de.wikipedia.org/wiki/Julija_Leonidowna_Latynina#Ansichten)

Ein Kommentar zum Verbot der Flagge der UdSSR an den Tagen der Befreiung vom (08.05.) und des Sieges über den (09.05.) NS-Faschismus in Berlin

Wenn die aktuelle Ukraine sich ideologisch nicht an den NS-Schergen Stepan Bandera anlehnt, dann frage ich mich doch, warum man am 8. & 9. Mai in Berlin das Zeigen der Flagge der Sowjetunion, welche uns als Siegermacht vom NS-Faschismus befreit hat, verbieten will (https://www.berlin.de/polizei/_assets/dienststellen/anlagen-dir-e/220504-direvst111-av-ehrenmale.pdf).

Dass das Russland unter Putin nicht mit der UdSSR gleichzusetzen ist, dürfte jedem mit Vernunft einleuchten. In der Roten Armee kämpften damals auch all jene Ukrainer, die sich nicht mit dem völkermörderischen Deutschen Reich gemein machen wollten. Die Fahne der Sowjetunion an den Tagen der Befreiung und des Sieges zu verbieten, ist also lediglich im Sinne der rechten Kräfte und ist ein, durch die deutsche Verwaltung ausgesprochener, Hohn gegen jene, die sich schon damals gegen einen mörderischen Krieg, an dem sich auch die OUN um Bandera begeistert beteiligte, erwehrten.

Meine Achtung gilt in diesem Zusammenhang unseren Befreiern, welche egal ob russisch, ukrainisch oder welchem Teil der UdSSR auch immer angehörend, unter deren Banner für die Menschlichkeit kämpften. Meine Abscheu gilt den Faschisten in Russland, der Ukraine, Deutschland und überall. Sie gilt auch den angeblich Linken, die im Krieg zwischen der Ukraine und Russland großteils rassistisch nationalistische Positionen beziehen.

Nie mehr Faschismus! Nie mehr Krieg!

Winde des Winters

Wo des Winters frost’ge Winde uns nahen,
weil der Wahn bricht wieder herein,
was die Weisen, die wussten, einst sahen,
wir müssen weichen und werden schrei’n.

Worte, die wider dem Wissen sind gesagt,
werden so wahr entgegen wirklichem Sein.
Weshalb sie Wunder erwarten, wirst du gefragt,
wenn die Welten vergehen wie Schein.

Creative Commons CC BY-NC-ND by Tintenwolf
(geschrieben am 19.01.2021,
entstand im Rahmen des Satjira-Projects (siehe »Winde des Winters«))

das volk der dichtenden henker & richtenden denker

    es ist ein volk der dichter und denker,
    so sagen sie stolz,
    als ob ehre gebührt.

    es ist ein volk der richter und henker,
    so sag‘ ich voll scham,
    die von geschichte herrührt.

    und so schwenken sie fahnen,
    grölen laut von der heimat,
    schwarz-rot-gold
    wird zum heiligen schein.

    und herren lenken in bahnen,
    von denen keine ein herz hat,
    schwarz-rot-gold
    pflanzt den tödlichen keim.

    so kommt’s, dass freude erblühet,
    von drei farben getragen,
    zur wahrheit wird lüge
    und alle sind blind.

    so kommt’s, dass es keinen berühret,
    wenn konzernbosse tagen,
    zum loblied wird rüge,
    deutsches feuer tötet ein kind.

    es ist ein volk der dichter und denker,
    so sagen sie stolz,
    als ob ehre gebührt.

    es ist ein volk der richter und henker,
    so sag‘ ich voll scham,
    die von geschichte herrührt.

     

    Creative Commons CC BY-NC-ND by Meas Wolfstatze
    (geschrieben am 21.06.2018)

Solidarität mit den progressiven Bewegungen in Katalonien und dem Baskenland

Als die Diktatur Francisco Francos über Spanien im November 1975 endete, bedeutete dies keinesfalls eine Abkehr von Nationalismus und faschistischen Tendenzen. Die vom Monarchen gesteuerte »Demokratisierung« bedeutete lediglich, dass sich die alten Eliten der faschistischen Falange Española de las JONS mit der christ-konservativen Partido Popular ein neues Gesicht gaben. Die Repression gegen kommunistische und anarchistische Gruppierungen hielt genauso an, wie die Unterdrückung des Baskenlands und Kataloniens, die nur teilweise gelockert wurde um einen demokratischen Anschein zu wahren. Folgerichtig war die Unabhängigkeitsbewegung, die zuvor auch im Stil der Résistance gegen die Schergen der Diktatur gekämpft hatte, weiter aktiv. Gerade im Baskenland nimmt sie bis heute marxistische Positionen ein und auch in Katalonien ist sie zumindest in großen Teilen sozialistisch geprägt. Dass ein Mariano Rajoy, dessen politischer Ziehvater der Altfaschist José María Aznar war, heutzutage mit Polizeigewalt gegen ein Referendum in Katalonien vorgeht, die gewählten Vertreter*innen der katalanischen Bevölkerung durch seinen Unterdrückungsapparat verfolgen lässt und Neuwahlen erzwingt, wo ihm Regionalregierungen nicht in sein rechtskonservatives Weltbild passen, stellt im post-franquistischen Spanien genauso eine Kontinuität dar, wie die Folter an baskischen Aktivist*innen.

Am letzten Wochenende vertonte ich zusammen mit Tobias Thiele ein Gedicht, welches ich für die progressive Bewegung des Baskenlands schrieb und das hiermit auch dem Widerstand in Katalonien gewidmet sei. Es heißt Euskadi.

Hoch die internationale Solidarität!

Kurzerklärung »Antisemitismus« (Selbstverständnis des Hausprojekts Wilder Vogel)

Der Begriff des Antisemitismus ist umkämpft, wie kaum ein anderer. Wo er die Ideologien von Neonazis und Hamas-Sympathisant*innen recht gut labelt, wird er von Antideutschen und der israelischen Regierung als bloßer Kampf- und Propagandabegriff für nationalistische Zwecke sinnentleert. Marxistische und anarchistische Jüd*innen werden diffamierend als »self-hating Jews« deklariert. Dem setzte die Jewish Antifascist Action Berlin zuletzt ein Manifest entgegen und auch das Hausprojekt Wilder Vogel hat dem Begriff des Antisemitismus in seinem Selbstverständnis eine Kurzbeschreibung gewidmet, die hier wiedergegeben sei:

Auch Antisemitismus ist eine biologistische (vermeintlich biologisch aber pseudowissenschaftlich argumentierte) Zuschreibung von bestimmten Charaktereigenschaften an eine Gruppe von Menschen, diesmal sind das Ziel dieser imaginierten und als »natürlich« aufgefassten Eigenschaften »die Juden«. Die Zuschreibungen werden dabei durch zwei Komponenten bestimmt: Der Zugehörigkeit zu einem angenommenen jüdischen »Volk« und dem Glauben an die jüdische Religion (wobei sich dieser Zwiespalt auch in jüdischen Diskussionen selber wiederfindet, Jüdischsein »vererbt« sich über das Vorhandensein einer jüdischen Mutter, was auch in Israel zu Konflikten mit sogenannten Vaterjuden führt, die einen jüdischen Vater und eine andersgläubige Mutter haben, sich aber dennoch der jüdischen Religion und dem israelischen Staat als gleichberechtigt verbunden fühlen). Die Diskriminierungslinien sind also schon von dieser zweifachen Zuschreibung her recht komplex. Weiterlesen

Kurzerklärung »Rassismus« (Selbstverständnis des Hausprojekts Wilder Vogel)

Neulich habe ich die ZDF-Doku »Black in the USA« (Teil 1 & Teil 2) gesehen und war erinnert, was ich in meinem Text »Für einen Internationalen Tag gegen Polizei, Staatsgewalt & Herrschaft« zur Thematik festgehalten hatte: »Noch immer ermorden und demütigen in den USA, Europa und anderswo rassistische Cops ungestraft ›People of Color‹. Ein homogenes Bild einer ›weißen‹ Gesellschaft scheint vielfach ganz normal.« Dem Wahnsinn, der sich Rassismus nennt, haben wir auch im Selbstverständnis vom Hausprojekt Wilder Vogel eine Kurzerklärung gewidmet, die versucht, ihn in wenigen Worten sachlich zu schildern:

Eine mögliche Form, bestehende Ausprägungen der Privilegierung zu legitimieren und damit Herrschaftsverhältnisse zu zementieren, findet sich im Rassismus. Rassismus ist, ähnlich wie Antisemitismus oder Sexismus, eine biologistische (vermeintlich biologisch aber pseudowissenschaftlich argumentiert) Zuschreibung von körperlichen und/oder psychologischen (»Charakter«)Eigenschaften. Als Grundlage rassistischer Zuschreibungen dient eine imaginierte Einteilung der Menschheit in ursprünglich geographisch gedachte Großgruppen, eben die sogenannten »Rassen«, denen je unterschiedliche Eigenschaften pauschal zugeteilt und die als vererbbar behauptet werden. Weiterlesen

abgeschrieben: Perverse Geschichtsvergessenheit

von https://wildvogelclan.wordpress.com/2017/01/15/perverse-geschichtsvergessenheit/

Wer kennt heute noch den Namen Hans Globke? Hans Globke war ein Nazi und Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze von 1935. Einen Weltkrieg und einen kleinen Zahlendreher später stieg er 1953 zum Staatssekretär des Bundeskanzleramtes auf – unbehelligt. Zehn Jahre später erhielt er das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Warum ist das heute noch von Interesse? Weiterlesen

100 Jahre nach den anarchosyndikalistischen Arbeitskämpfen auf der Insel: Worauf steuert Kubas Gesellschaft heute zu?

Anarchismus auf Kuba

Eine Veranstaltung meiner Genoss*innen bei der FAU Berlin am 28.08.2016 ab 19:00 Uhr im FAU-Gewerkschaftslokal (Grüntaler Straße 24, 13357 Berlin):

100 Jahre nach den anarchosyndikalistischen Arbeitskämpfen auf der Insel: Worauf steuert Kubas Gesellschaft heute zu?
Fidel Castro feierte gerade seinen 90. Geburtstag und sein Bruder Raúl ist noch immer an der Macht. Die Eiszeit mit den USA scheint vorüber, eine Annäherung wird immer schneller vollzogen. Die (staats-)kapitalistischen Reformen auf der Insel entfalten immer mehr Wirkung.

Ein Genosse des Taller Libertario Alfredo López (TLAL), der einzigen anarchistischen Gruppierung auf Kuba heutzutage, berichtet von den Anfängen des Anarchosyndikalismus auf Kuba und schlägt eine Brücke zu den aktuellen Prozessen auf der Insel, insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts und auf gesellschaftlicher Ebene.

Vortrag mit Übersetzung und anschließender Diskussion.

Eine Veranstaltung des Anarchistischen Radios Berlin (aradio.blogsport.de) in Kooperation mit der FAU Berlin.