Kurzerklärung »Sexismus« (Selbstverständnis des Hausprojekts Wilder Vogel)

Erst neulich fiel mir beim Filmgucken wieder auf, wie stark Männer in der Gesellschaft anscheinend noch immer als die »normalen Menschen« gesehen werden. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass selbst als »stark« charakterisierte Frauen, die in Ausnahmefällen sogar einmal die Protagonistinnen sein dürfen, fast ausschließlich bis nur mit Männern agieren. Und wenn mensch da nicht drauf achtet, mag es noch nicht einmal auffallen. Das machte mir dann erneut bewusst, wie wichtig es noch immer ist, sich gegen Sexismus und männliche Dominanz in der Gesellschaft – und auch in sich selbst – einzusetzen. Mit Sexismus beschäftigt sich auch die fünfte und letzte Kurzerklärung aus dem Selbstverständnis vom Hausprojekt Wilder Vogel:

Sexismus ist eine biologistische (vermeintlich biologisch aber pseudowissenschaftlich argumentierte) Zuschreibung, die ausgehend von einer angenommenen Zweigeschlechternorm bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten, emotionale und körperliche Präferenzen und Unterschiedlichkeiten als natürlich gegeben annimmt. Davon ausgehend, werden über die gesellschaftliche Bewertung dieser Fähigkeiten Hierarchien und Machtformen geschaffen und gefestigt. Die dabei angenommenen zwei Geschlechter – Mann und Frau – werden allerdings durch diese Strukturen erst geschaffen und sind keineswegs natürlich gegeben.

Diese Machtstrukturen und Hierarchien privilegieren in unserer Gesellschaft Männer gegenüber Frauen. Die dabei angenommene binäre Opposition zwischen diesen beiden als »natürlich« verstandenen Geschlechtern lässt keinen Raum für Menschen, die sich entweder körperlich keinem der beiden Geschlechter einfach zugehörig fühlen (z.B trans*- und intersexuelle Menschen) oder die nicht bereit sind, die damit verbundenen Rollenzuschreibungen zu übernehmen. Dies betrifft häufig Menschen mit einer der Heteronormativität widersprechenden sexuellen Orientierung. Heteronormativität bedeutet die Behauptung, dass körperliche Liebe nur zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts »normal« wäre. Dies ist wiederum eng mit einer Zweigeschlechternorm verbunden und eine Grundlage vielfältiger Diskriminierungen.

Sexismus betrifft nicht nur individuelle Vorurteile gegenüber anderen »Geschlechtern«, sondern funktioniert nicht ohne die Machtstrukturen, mit deren Hilfe diese Vorurteile zu realen Hierarchien und Unterdrückungsmechanismen gerinnen. Sexistische Strukturen wirken durch institutionalisierte Macht, gesellschaftliche Traditionen und Übereinkünfte und durch individuelle Internalisierung (sprich die Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte, Normen und sozialer Rollen), wobei letztere oft am schwersten zu durchschauen ist.

Beispiele für institutionellen Sexismus sind u.a.:

  • Gesetze (Nichtanerkennung der Ehe für alle)
  • Herunterspielen sexualisierter Gewalt (z.B. durch Polizei und andere Repressionsorgane)
  • systematische Benachteiligung im Berufsleben (schlechtere Bezahlung von Frauen, gesellschaftlich schlechteres Ansehen von »typischen Frauenberufen«)

Gesellschaftlich sexistische Traditionen betreffen z.B.:

  • die Verantwortlichkeit von Frauen für die Kindererziehung (die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird bei Frauen stark diskutiert – warum nicht die von Männern?)
  • Teilnahme an gesellschaftlichen Aktivitäten (Was »Frauen« und was »Männer« tun)
  • häusliche Gewalt (Wer ist der »Herr im Haus«?)

Individueller Sexismus äußert sich z.B. in:

  • ständigen Hinweisen auf Äußerlichkeiten/ das Körperliche bei Frauen/ Trans*menschen
  • grenzüberschreitendes Anbaggern

All das verschränkt sich im Alltag und korreliert miteinander, wobei auf die dem jeweiligen Geschlecht zugeschriebenen Eigenschaften Bezug genommen wird. Die gefährlichsten, weil am wenigsten sichtbaren Formen des Sexismus, sind die noch nicht oder nur halb bewussten, denen wir alle von frühester Kindheit an ausgesetzt sind. Die ständige Bombardierung mit sexistischen Strukturen und Inhalten und die daraus wachsenden Internalisierungen führen bei den meisten Menschen zu gewolltem, aber viel öfter zu ungewolltem sexistischen Verhalten.

Eine wichtige Möglichkeit, wie wir den Alltagssexismus bewusst machen können, besteht in der konstanten Hervorhebung der sexistischen Strukturen in der Sprache. Sprache ist nicht nur die Art und Weise, mit der wir miteinander kommunizieren, sondern sie bildet die gesellschaftliche Realität ab und verstetigt diese. Indem wir uns ständig um ein Gendern der Sprache bemühen, machen wir die herkömmlichen Machtstrukturen der Sprache sichtbar und können sie auf lange Sicht vielleicht sogar unterlaufen.

Aber auch die vermeintlich positiven Rollenzuschreibungen, denen wir als »Männer« oder »Frauen« ausgesetzt sind, sollten hinterfragt und gegebenenfalls abgelegt werden. Auch »natürliche« Stärke, Sensibilität, Empathie, kommunikative Kompetenz oder Durchsetzungsfähigkeit wird in der Realität zu einem Persönlichkeitskorsett, wenn ich das alles vielleicht gar nicht oder nur manchmal bin oder sein will. Auch so werden Strukturen geschaffen, die Menschen in ihrer Persönlichkeit einengen und sie in Strukturen und Hierarchien zwängen, die ihren Interessen widersprechen können.

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Das Selbstverständnis (V20170125) steht unter der Creative Commons CC BY-NC-ND-Lizenz by Hausprojekt Wilder Vogel e.V.

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