Ein Jahr nach der Bundestagswahl 2021 – ein Resümee

Als die Bundestagswahl vor genau einem Jahr u.a. dazu führte, dass Karl Lauterbach Gesundheitsminister wurde, hatte ich die Hoffnung, dass zumindest in der Corona-Politik ein vernünftigerer Pfad eingeschlagen würde, als dies zuvor unter Jens Spahn der Fall war. Viel mehr Positives ließ sich von einer Regierung aus SPD, Grünen & FDP von Anfang an nicht erwarten und dass Wahlen am scheindemokratischen, bürgerlichen, politischen Überbau des kapitalistischen Wirtschaftssystems nichts ändern, ist hinlänglich bekannt, da sie sonst ja auch verboten wären. Nun ist auch ein Karl Lauterbach, der bisher immerhin massiv auf eine Privatisierung des Gesundheitssystems setzte und damit für das finanzielle Zugrunderichten dieser wichtigen Infrastruktur eintrat, auch keine Lichtgestalt. Dennoch hatte ich auf eine Impfpflicht und weitere sinnvolle Maßnahmen im Kampf gegen Covid-19 gehofft.

Mittlerweile wissen wir, dass Lauterbach komplett vor Querdenken & Co. eingeknickt ist. Die forcierte Einheit der deutschen Gesellschaft durch einen Burgfrieden unter dem Eindruck der Eskalation des Ukrainekrieges durch den russischen Einmarsch soll nicht durch weitere Proteste der Coronaleugner*innen gestört, das Kapital der deutschen Wirtschaft auf keinen Fall durch eventuell nötige weitere Lockdowns gefährdet werden. So ist die Idee von der Impfpflicht Geschichte und wenn die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten in den Statistiken sinkt, dann drückt der Gesundheitsminister diese geschickt durch das Abschaffen kostenloser Tests. Dies wirkt umso stärker, da die Regierung unter Knüppel-Scholz, welcher seine Cops im Juli 2017 als Hamburger Bürgermeister gegen die demokratischen Proteste gegen den absolut undemokratischen G20-Gipfel von der Leine ließ1, im Zeichen der Sanktionspolitik gegen Russland eine massive Verteuerung des Lebens und Sozialabbau betreibt, sodass sich immer weniger Menschen die nun kostenpflichtigen Tests leisten werden. Durch solche statistischen Tricks wird sich Covid-19 freilich nicht besiegen lassen. Die Anfangs erwähnte Hoffnung wurde also auf voller Linie enttäuscht. Dramatischer sieht die Bilanz der aktuellen Bundesregierung nur bei ihrem Wirtschaftskrieg gegen Russland aus.

Dass der Einmarsch russischer Truppen wie jede Invasion ein Verbrechen darstellt und sicher nicht der Entnazifizierung der Ukraine dient, muss eigentlich nicht extra erwähnt werden. Die dortige radikale, banderistische Rechte, die sich begeistert auf den Massenmörder und Nazi-Anhänger Stepan Bandera sowie dessen Organisation Ukrainischer Nationalisten (kurz: OUN)2 beruft, wird durch den aktuellen Krieg nur gestärkt. So beweisen die dortigen Anarchist*innen durch ihre Unterstützung militärischer Verbände – selbst für das Asow-Regiment –3 ihre Staatstreue und ein Wolodymyr Selenskyj hat für sein Gekungel mit faschistischen Einheiten und einem terroristischen Inlandsgeheimdienst SBU4 in meinen Augen genauso wenig Sympathie verdient,5 wie 2001 die Taliban und 2003 der Despot Saddam Hussein. Doch genauso wie die Angriffskriege gegen Afghanistan und Irak, die angeblich im Namen von Demokratie und Menschenrechten geführt wurden, ist auch die Invasion der Ukraine durch Russland zu verurteilen. Daran ändert sich auch nichts, wenn man die Vorgeschichte des Ukrainekrieges betrachtet, dem immerhin eine jahrelange, provokante Expansion der NATO gen Russland, der westlich gestützte und durch ukrainische Neonazis durchgeführte Maidan-Putsch, sowie ein Bürgerkrieg gegen den russisch geprägten Osten des Landes und die dort neu begründeten, durch sich selbst als solche bezeichneten Volksrepubliken Donezk und Lugansk voranging.6 Putin reiht sich bei US-amerikanischen Präsidenten wie John F. Kennedy mit seinem Invasionsversuch in der Schweinebucht und dem beginnenden Wirtschafts- & Terrorkrieg gegen Kuba, Lyndon B. Johnson mit dem Überfall auf Nordvietnam, Ronald Reagan mit dem Contra-Krieg gegen die Sandinist*innen in Nicaragua, George W. Bush mit den Kriegen gegen Afghanistan & Irak sowie Barack Obama mit seinem Drohnenkrieg im gesamten Nahen & Mittleren Osten ein. Er betreibt imperiale Machtpolitik – nicht mehr und nicht weniger. Die »Zeitenwende«, welche Olaf Scholz nun propagiert, zeigt lediglich die Doppelmoral einer korrupten Regierungsriege und ihrer Staatsmedien auf. Der einzige Unterschied am Einmarsch von Putin’s Truppen in die Ukraine zu den benannten vorhergegangenen Kriegen ist, dass es nun ein anderer imperialer Block als die NATO ist, welcher die Grenzen eines anderen Landes militärisch verletzt und damit das Völkerrecht bricht. Dass die Kriegsverbrechen der Ukraine verschwiegen und nur jene Russlands medial beleuchtet werden,7 während ein Julian Assange, der US-Kriegsverbrechen von Blackwater, US Army & Co. über WikiLeaks publik machte, in einem Schauprozess der Klassenjustiz als Schwerverbrecher behandelt wird, kann daran genauso wenig etwas ändern, wie ahistorische Gleichsetzungen von Putin mit Hitler oder Stalin, welche lediglich einer Geschichtsklitterung und dem bedienen von Feindbildern dienen.

Die rhetorische Floskel von der »Zeitenwende« dient der aktuellen Regierung dagegen, um massiv Geld der lohnabhängigen Bevölkerung dieses Landes in die Taschen von Energiekonzernen und deren Manager*innen zu verschieben, welche dadurch noch reicher werden. Eine primitive, ebenfalls imperiale Sanktionspolitik soll als Mittel eines Wirtschaftskrieges gegen Russland dienen und trifft doch nur die Arbeiter*innenklasse hier und dort und überall. Durch die Verknappung an entsprechenden fossilen Energieträgern, welche der angekündigte und teils bereits umgesetzte westliche Boykott russischen Erdgases und Erdöls mit sich bringt, steigen weltweit die Preise für ebendiese. Russland verkauft zwar weniger Öl und Gas als zuvor, nimmt dabei aber mehr ein. Hierzulande hat diese Verteuerung im Rahmen von staatlichen Maßnahmen die bereits benannten Effekte und für ärmere Länder wird es immer schwerer, den eigenen Bedarf an Öl und Gas überhaupt zu decken. Gerade Kuba, welches seit über sechs Jahrzehnten unter der aggressiven Sanktionspolitik der USA leidet, muss durch den westlichen Wirtschaftskrieg gegen Russland mit noch weniger Erdöl auskommen. Wenn die Verteuerung durch die eigenen Sanktionen von Seiten der Regierung dann noch Russland in die Schuhe geschoben wird, als ob die BRD das russische Erdgas nicht selbst boykottieren würde, sondern dies Folge eines »Gaskrieges« durch Putin sei, dann frage ich mich doch, ob dies extremer Zynismus oder absoluter Realitätsverlust ist. So oder so dient es den durch sich selbst so genannten »Grünen« als angeblicher Umwelt- aber eigentlicher Kriegspartei dazu, LNG-Terminals für umweltschädlichstes, US-amerikanisches Frackinggas bei Wilhelmshaven mitten in ein Schutzgebiet für Schweinswale zu pflanzen. Habeck, Baerbock & Co. zeigen hier ganz deutlich, dass Umweltschutz mit ihnen – anders als zuvor propagiert – nicht zu machen ist. Wer den Klimawandel aufhalten wollte, sendet nicht Waffen in ein Kriegsgebiet, wo diese Umwelt, Infrastruktur & Menschenleben zerstören, sondern macht sich daran, das kapitalistische Wirtschaftssystem zu überwinden. Stattdessen wird in revanchistischer Manier ein Ende des deutschen Sonderweges gefordert. Endlich haben sie eine tolle Begründung, dass Deutschland wieder wie jedes andere Land agieren kann, und wenn die Russen die Bösen sind, kann der Vernichtungskrieg im Osten in den 1940er-Jahren ja nicht ganz falsch gewesen sein. Das ist natürlich Balsam für die imperiale, deutsche Seele. Dem dienen dann auch die bereits erwähnten, durch Gleichsetzung geschaffenen Feindbilder.8

So hat uns die letzte Bundestagswahl eine vielleicht noch neoliberalere Regierung gebracht, als wir sie vorher hatten. Doch die angeblich radikale Linke – nicht die Partei, sondern das gesamte so bezeichnete politische Spektrum – verharrt in ihren Löchern. Sie ist nahezu zusammengebrochen. Große Teile sind ins bürgerliche Lager übergelaufen, waren schon immer dort oder haben sich einer Querfront mit der politischen Rechten angeschlossen. Dies hat seine Wurzeln sicher schon in der gefühlten Hochzeit der Corona-Pandemie. Die Einsicht, dass Mund-Nasen-Masken, Tests & Impfungen wichtig sind, um gegen das Virus anzukämpfen, hat viele blind hinter der Regierung Merkels hinterherlaufen lassen. So wichtig eine klare Kritik an antisemitischen Verschwörungstheorien und Querfrontbestrebungen durch die von sich selbst so genannte »Freie Linke«, welche als Teil des Querdenken-Netzwerkes nicht vor Bündnissen mit der Basis, der AfD, dem III. Weg & den »Freien Sachsen« zurückschreckte,9 war, sowenig wurden doch neoliberale sowie repressive Maßnahmen im Zeichen der Krise kritisiert. Nur wenige brachten eine gute antikapitalistische Analyse der Politik in der Pandemie hervor und häufig wurden – statt das eigene Unvermögen zu reflektieren – alle Kritiker*innen von Regierungsmaßnahmen in den Querdenken-Topf geworfen. Denkverbote und eine Konfliktkultur des Niederbrüllens, welche keine befruchtenden Diskussionen mehr zuließen, wurden auch in großen Teilen der Linken übermächtig. Dort wurden jene Mechanismen eingeübt, die es heute erlauben, jede*n Kritiker*in an der Kriegspolitik als Freund*innen Putin’s zu diffamieren. Häufig wird ein Vergleich mit der AfD und anderen Akteur*innen des Querdenken-Netzwerkes bemüht und dabei unter den Tisch gekehrt, dass der III. Weg & Teile der NPD sich klar auf die Seite des Kiewer Regimes stellen.10 Hier werden von jenen, die Argumente häufig als »Whataboutism« niederbrüllen, selbst leicht durchschaubare Strohpuppen aufgestellt.11 Es wird so getan, als ob es ein Gut & ein Böse in diesem Krieg gäbe und die Regierung, irgendwelche bauchlinken Hippster-Yuppies, Querfrontler*innen & Anti-Deutsche auf der »guten, antifaschistischen« Seite stünden, während Gegner*innen des westlichen Imperialismus ein Bündnis mit Querdenken oder gar Putin eingingen. Zynismus und verschwörungsgläubiges Denken scheinen sie glauben zu lassen, dass die Welt derart einfach und in blindem Freund-Feind-Denken zu begreifen sei. Es wirkt so, als ob ein miteinander Reden aktuell kaum möglich ist. Die radikale Linke liegt weitestgehend am Boden und ist isoliert wie selten zuvor. Gleichzeitig zwingt uns die Regierung ein Jahr nach der Bundestagswahl schwierigste Abwehrkämpfe gegen ihre neoliberale Verarmungspolitik auf. Proteste von Betroffenen der wirtschaftlichen Folgen werden zynisch diffamiert, missachtet und rhetorisch beiseite gefegt. Für Frieden einzustehen bedeutet, hierzulande Druck auf die Bundesregierung als Apologet der NATO-Politik auszuüben, damit sie die Lieferung sämtlicher Waffen zum Anheizen des Krieges in der Ukraine einstellt, sich endlich für Friedensverhandlungen einsetzt und ihre Krisenpolitik auf Rücken der Lohnabhängigen beendet. So fern der Tag eines Wandels zu einem gerechteren Wirtschaftssystems unter sozialistischen Vorzeichen unter dem massiven, aktuellen Rechtsruck der Gesellschaft scheint, so sehr ist er heute dringender denn je.12

1 = Vgl. »Die Propaganda eines autoritären Regimes«.

2 = Vgl. »Stepan Bandera an Reichsminister Alfred Rosenberg. Eine Quellenanalyse«.

3 = Vgl. den Querfront-Text »Der Krieg und die Anarchist*innen. Anti-Autoritäre Perspektiven in der Ukraine«.

4 = Vgl. »Faschisten gehören zum Strafapparat. Über die Unterdrückung der Opposition und den rechten Terror in der Ukraine unter der Knute des Westens. Ein Gespräch mit Wolodimir Tschemeris«, »Verblendet durch die Schwarze Sonne« & »Wahre Freundschaft«.

5 = Siehe »So führen Krieg die Mächtigen«.

6 = Vgl. »Kritischer Monitor-Beitrag zur Ukraine-Krise«, »Podcast #29 – Susann Witt-Stahl über den Faschismus in der Ukraine und die aktuelle ›Heimatfront‹«, »Angriff auf Donbass. Mit Rückendeckung der USA droht die Ukraine den seit sieben Jahren bestehenden Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit Krieg. Russland will seine dortigen Staatsbürger verteidigen«, »Donbass unter Beschuss. Ukraine-Konflikt. Erneut Kämpfe zwischen ukrainischen Truppen und Volksrepubliken. Putin fordert Dialog und besteht auf Sicherheitsgarantien«, »Die Stunde der Geschichtsrevisionisten: Mit der Wolfsangel zur Zeitenwende«, »Wir haben Spaß am Töten. Faschisten in der Ukraine: Staat im Staat und NATO-Killerelite« & https://www.youtube.com/watch?v=T1hn5LRT5dw.

7 = https://www.facebook.com/Tintenwolf/posts/5230983546923292.

8 = Vgl. »Ein Kommentar zum Verbot der Flagge der UdSSR an den Tagen der Befreiung vom (08.05.) und des Sieges über (09.05.) den NS-Faschismus in Berlin« & »Die TAZ als Hort des Geschichtsrevisionismus«.

9 = Vgl. »Eine besonders krude Querfront der Querfronten«, »Querdenken – Verschwörungswahn und Rücksichtslosigkeit«, »Mit Tintenklecksen gegen die Querfront« & »Demo in Weißensee: Gegen Krieg, Faschismus und Querfront!«.

10 = Vgl. »Wider den Schafmacher*innen«, »Braune Legionäre. Neonazis in der Ukraine. Faschistisches »Asow«-Bataillon wirbt in rechten Chats Kämpfer für Krieg in Ukraine an, Kiew rekrutiert offen in BRD. Neonaziparteien gespalten«, »Neonazis wollen in die Ukraine reisen – um dort zu kämpfen«, »Tausende Nationalisten marschieren durch Kiew«, »Nationalistische Ultras mit Kontakten zur NPD«, »Braune Runde: Ukrainische Nationalisten zu Gast bei sächsischer NPD-Fraktion« & https://der-dritte-weg.info/category/ukraine-krieg/.

11 = Vgl. »Daheim ist, wo der Hauptfeind steht. Krieg in der Ukraine. Antiimperialismus – aber richtig. Besser ein sachliches Urteil zum laufenden Krieg in der Ukraine als eine vorschnelle Positionierung. Die Linke sollte es dabei mit Lenin und Liebknecht halten«, »Europa ist blau-gelb – Burgfrieden 2022« & »Über geheuchelte Friedenswünsche«.

12 = Vgl. »Visionen der Verdammnis«.

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