Zwei Wochen ist es her, dass Austenit bei dem von mir organisierten Metal in der KvU neben den Bands All Will Know und Precipitation nach Lockdowns etc. endlich wieder ihre Segel setzen konnten. Mit ihrer neuen CD »Evolare« halten sie nun auf deren Record Release Konzert in der Linse (Parkaue 25, 10367 Berlin) am kommenden Samstag dem 11.06.2022 zu. Ein guter Anlass, um zu sehen, wie seetauglich die Scheibe ist.
Zuerst einmal lässt sich feststellen, dass der Pirate Metal von Austenit anders ist, als dass was mensch unter dieser Bezeichnung erwarten würde. Humppa und eventuell ’ne Quetsche ist auf der CD nicht zu finden. Musikalisch bewegen sie sich zwischen Pagan und Power Metal. Growling und klarer Gesang wechseln sich atmosphärisch passend ab. Oft singen Seric und Sabrina im Duett, wobei immer wieder auch Geric, Kaja und Joko mit einstimmen. Mir persönlich liegt das sehr. Die Texte thematisieren durchweg die Seefahrt und während einem Wechsel zwischen treibenden, machtvollen akustischen Brettern und melodischen Balladen beweist die Crew von Austenit, dass sie in vielen Häfen dieser Welt anlegen und sich dort verständigen könnten. Mit sieben Sprachen sind sie sehr international aufgestellt. Es finden sich Lieder oder zumindest Textstellen auf Französisch, Deutsch, Spanisch, Norwegisch, Russisch, Englisch und Isländisch. So wechselhaft wie die Sprachen sind innerhalb des oben genannten Gesamtsettings von Piraterie und dem Leben auf See dann auch die Inhalte der einzelnen Lieder. So handelt »Marseille« recht oberflächlich von der Französischen Revolution und ihren Wirren, versteckt darin aber die Message, sich nicht für irgendwelche Herren und deren politischen Wahn verheizen zu lassen. »Pythagoras‘ Rache« entführt uns zum Bermudadreieck und den Mythen um einen Fluch, welcher auf eben diesem liegen würde. Beide Songs sind durch sehr kraftvollen Sound geprägt. In »Das tut man einfach nicht!« erklärt die Band auf humorvolle Weise, was wir an Bord lieber sein lassen sollten. Ich werde mir auf jeden Fall merken, dass »dem Kodex sein Grammatik mäkeln« ebenso tabu ist, wie »braunen Rum mit weißem [zu] strecken«. Vor allem Letzteres halte auch ich ganz klar für ein schweres Verbrechen.
Das Lied »Vera Cruz« geht darauf ein, dass nicht nur der Akt der Piraterie sondern auch die Plünderung der indigenen Bevölkerung jenes Kontinents, der im Laufe der Kolonisierung Lateinamerika genannt wurde, ein Raub ist. Nach »Malstrøm« wo ein durch Gier zu schwer beladenes Schiff untergeht, folgt mit »Парус« (auf deutsch: Segel) ein weiteres unterschwellig politisches Lied, dass sich – so interpretiere ich es zumindest – gegen Fremdenhass und Nationalismus wendet. Wenn ich bedenke, dass dieses Lied, welches somit für die Gleichberechtigung und Freundschaft zwischen verschiedenen Kulturen wirbt, vor mehreren Jahren geschrieben wurde, wird mir angesichts des aktuell herrschenden nationalistischen Hasses in dieser Welt und natürlich vor allem mit Blick auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine einfach nur kalt.
Die nächsten zwei Lieder sind besonders melodisch. »Des Sirènes« handelt von der griechischen Sage von den Sirenen, deren Gesang Seeleute in den sicheren Tod lockt. Das shantyhafte »Come what may« romantisiert die See als Heimat und fordert zum Durchhalten auch bei Sturm und kalten Nächten auf. Den Abschluss der CD bildet »Ferɖin«, dass mit getragenem Sound von einer Reise in das ewige Eis berichtet. In der Gesamtkomposition bildet es einen würdigen Abschluss.
Auch das Layout samt dem Booklet passt wunderbar in das künstlerische Konzept des Albums. Hübsche Zeichnungen illustrieren die Texte und jede Seite im Heftchen kommt mit einer Koordinate daher. – eine tolle Referenz auf das Artwork vom CD-Case.
Auf jeden Fall taugt Evolare, dass die Austenit-Pirat*innen damit noch diverse Häfen ansteuern können, um den Landratten dort gute Musik und damit verbundene Freude zu bringen. Los geht’s wie geschrieben mit der Record Release in der Linse. Dort könnt ihr euch die Scheibe auch guten Gewissens für die heimischen Gewässer erwerben.