Stoppt das Morden – Das Schweigen brechen

Ein Aufruf zu einer Friedensdemo am 24.07. um 19:00 Uhr am Kotti, den ich auf jeden Fall teilen möchte, einfach weil er eines der differenziertesten Statements zum Thema Nahost enthält, den die (deutsche) Linke seit langem hervorgebracht hat:

Es herrscht Krieg im Nahen Osten. Seit Tagen führt die Israelische Armee eine blutige Militäroperation gegen die Bevölkerung im Gaza-Streifen und über 500 Menschen – zum größten Teil Zivilisten – sind bisher dabei ermordet worden. Erklärtes Ziel der israelischen Militärinvasion ist es, die militärischen und politischen Strukturen der islamistischen Hamas zu schwächen, doch wer in erster Linie darunter zu leiden hat, ist klar: Es ist die normale Bevölkerung im dicht besiedeltsten Ghetto der Welt, es ist die Bevölkerung des Gaza-Streifens.

Doch während alle Welt auf den israelisch-palästinensischen Konflikt schaut, führt einige hundert Kilometer entfernt in Nordsyrien die islamistische ISIS-Miliz eine ebenfalls blutige Bodenoffensive gegen die kurdische Enklave Kobané durch. Erklärtes Ziel der „Gotteskrieger“ ist es, das Projekt basisdemokratischer und kommunaler Selbstverwaltung, das im Schatten des syrischen Bürgerkrieges entstanden ist, im Blut zu ertränken. Denn die Kommune von Rojava und ihr auf Frauenbefreiung, Ökologie und Basisdemokratie aufbauender Gesellschaftsentwurf stellen im Grauen des syrischen Bürgerkrieges eine emanzipatorische Alternative zur Terrorherrschaft der ISIS auf der einen und der Unterdrückung durch das Assad-Regime auf der anderen Seite dar und wird deshalb von den islamischen Rackets gefürchtet und gehasst.

Aufgerüstet und bewaffnet wurde die ISIS-Miliz vor allem von der Türkei und den Golfstaaten. Allerdings haben auch der US-amerikanische Geheimdienst und andere imperialistische Player die Al-Qaida-Abspaltung im Kampf gegen das geopolitisch in Ungnade gefallene Assad-Regime anfangs unterstützt. Verletzte ISIS-Kämpfer wurde in israelischen Krankenhäusern behandelt und gesund gepflegt, um sie wieder fit für den Kampf gegen die libanesische Hisbollah und die regulären Streitkräfte der syrischen Regierung zu machen. Nachdem die ISIS im April schon einmal versucht hatte, die kurdischen Verteidigungslinien zu überrennen und dabei schwere Verluste hinnehmen musste, startete sie vor einigen Tagen – finanziell und militärisch – durch ihren Blitzfeldzug im Irak gestärkt den zweiten Versuch. Außerhalb der kurdischen Community wird dieser teilweise mit chemischen Waffen geführte Vernichtungsfeldzug gegen die „ungläubigen Kurden“ im Gegensatz zu den Ereignissen im Gaza-Streifen kaum wahrgenommen.

Dies ist umso tragischer da die Kommune von Rojava im Irrsinn des gegenseitigen Abschlachtens, der im Nahen Osten seit fast 100 Jahren herrscht, einen emanzipatorischen Lichtblick darstellt, der sich nicht geostrategisch vor den Karren imperialistischer Akteure spannen lässt und der nationalistischen Spaltung die Vision eines gemeinsamen selbstbestimmten und freien Lebens entgegenhält. Weil ihr Kampf sich der nationalstaatlichen Sackgasse verweigert und nicht geeignet ist, liebgewonnene Feindbilder zu pflegen und sich im Gegensatz zu ISIS, Israel oder auch der Hamas nicht für die geostrategischen Interessen verschiedener Staaten nutzbar machen lässt, fällt ihre internationale Lobby leider sehr klein aus.

 

Entweder oder? – Weder noch! Seien wir realistisch, versuchen wir das unmögliche.

Anders sieht es bei Israel und Palästina aus. Beide Seiten können sich vor (falschen) Freunden nicht retten. Israel bekommt bei seiner „erbarmungslosen“ Militäroffensive Rückendeckung von Rechtspopulisten, Rassisten, Islamophoben, abgedrehten (Ex)Linken, antisemtisch-christlichen Fundamentalisten und anderen Verteidigern des Abendlandes. Auf die Seite der Hamas und der mit ihr tragischerweise gleichgesetzten palästinensischen Bevölkerung schlagen sich sympathische Gestalten wie der türkische Ministerpräsident Erdogan, der Iran und andere arabische Regierungen herum, die Israel dringend brauchen um von ihren eigenen Problemen abzulenken und die potentiell aufmüpfige Bevölkerung mit einem gemeinsamen Feindbild ruhigzustellen. Dabei treffen sich in die andere Richtung abgedrehte (Ex)Linke, antisemtisch-islamische Fundamentalisten, Neonazis und Judenhasser aller Coleur. Die Propagandamaschinen beider Lager laufen heiß, mit der beständigen Wiederholung, die Weltöffentlichkeit würde sich sowieso nur mit dem Leid der Gegenseite beschäftigen. Erklärt wird dies wahlweise mit dem weltweit existierenden Antisemitismus der Medien oder eben der weltweiten jüdischen Steuerung genau dieser Medien.

Es scheint, dass beim Thema Israel-Palästina sämtliche Sicherheitssysteme durchknallen und alle Maßstäbe, die ansonsten gelten, über den Haufen geworfen werden. Dass im Krieg gelogen wird und zwar von jeder Seite, scheint nicht mehr bekannt zu sein. Parteilichkeit ist offensichtlich eine Pflicht und wer sich nicht klar und deutlich für die eine Seite bekennt, steht automatisch auf der Gegenseite und ist ein Feind. Doch so einfach wollen wir es den Kriegstreibern nicht machen. Wir lassen uns nicht vereinnahmen! Weder von rassistischen IDF-Fans noch von islamischen Fundamentalisten und Antisemiten. Wir stehen ein für die Ideale einer weltweit befreiten Gesellschaft und sagen NEIN zu einem geistesgestörten Krieg, an dem so ziemlich alles falsch ist, was nur falsch sein kann. Wir verurteilen die Luftangriffe und militärischen Operationen der IDF, die hunderten unschuldigen Palästinensern das Leben kostet. Wir verurteilen auch die politischen und militärische Strategie der reaktionären Hamas, die den Palästinensischen Widerstand in eine fatale Sackgasse führt. Eine erneute Militarisierung des Konfliktes kommt auch ihr grade Recht um von ihrer desaströsen politischen Bilanz abzulenken. Ihre Raketenangriffe zielen dabei darauf, die israelische Zivilbevölkerung zu treffen und nur ihrer massiven militärischen Unterlegenheit ist es zu verdanken, dass der „Death Count“ auf israelischen Seite bescheiden ausfällt. Wir haben keinen Zweifel, dass die Hamas, hätte sie die militärische Feuerkraft der israelischen Armee, diese ohne zu Zögern gegen die israelische Bevölkerung einsetzten würde. Jedoch ist diese militärische Unterlegenheit der Hamas auch kein Zufall der Geschichte oder auf die notorische Unfähigkeit der „barbarischen“ Araber zurückzuführen, sondern das Ergebnis von über 100 Jahren kolonialistischer und imperialistischer Unterwerfungspolitik des Westens, für die Israel neben der Türkei der wichtigste Statthalter in der Region ist. Wir verurteilen die rassistische Verhöhnung der Opfer, die im Rahmen einer bedingungslosen Israel-Solidarität geschieht, ebenso wie die antisemitischen und judenfeindlichen Übergriffe der letzten Tage, die im Rahmen der Palästina-Solidarität verübt wurden. Wir solidarisieren uns mit allen Gruppen und Parteien in Israel und Palästina, die sich gegen die imperialistische Politik der Nationalisten und den religiösen Wahn der Islamisten wenden, egal wie klein, egal wie unbedeutend, egal wie wenige sie sind.

Unsere Solidarität gilt den Menschen die unter dem Krieg zu leiden haben. Unsere Solidarität gilt den linken Gruppierungen, LGBTs, und Graswurzelbewegungen, die durch die reaktionäre Herrschaft der Hamas unterdrückt werden, genauso wie den linken Aktivisten in Israel, die von zionistischen Rechtsextremisten und der Polizei angegriffen werden. Unsere Solidarität gilt Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt, die in diesen Tagen mit Hass und Diffamierungen überzogen werden und persönlich für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden. Wir verurteilen diese Angriffe aufs schärfste, genauso wie wir die Angriffe auf das Leben der unzähligen palästinensischen Frauen, Männer und Kinder verurteilen, die in diesem Wahnwitz ermordet wurden. Jeder Tote ist genau ein Toter zu viel und um jeden Toten trauert eine Frau, eine Mutter, ein Vater, ein Bruder, eine Tochter oder ein Sohn, weil der geliebte Mensch nicht mehr nach Hause kommen wird und fehlt. Stoppt diesen Wahnsinn! Entweder Israel oder Palästina? Entweder Assad oder ISIS? Diese Frage stellt sich für uns nicht.

Für die Menschen in Rojava, die linken Kräfte in Palästina und Israel stellen sich nur Fragen der Menschlichkeit: Entweder Faschismus oder Freiheit? Entweder Rassenhass oder friedliches Miteinander? Entweder Nationalstaat oder befreite Gesellschaft? Entweder Unterdrückung oder Gleichheit für alle? Entweder Ausbeutung oder ein Leben in Würde? Entweder kolonialer Imperialismus oder Selbstbestimmung? Entweder Krieg oder Friede? Entweder oder?

 

Solidarität mit den Menschen im Gaza-Streifen und Kobané!

Gegen Imperialismus, Besatzung, Nationalismus, Antisemitismus und Fundamentalismus!

Demo / Donnerstag / 24.Juli / 19 Uhr / Kottbusser Tor

(http://arab.blogsport.de/2014/07/23/24-juli-stoppt-das-morden-das-schweigen-brechen/)

Ein Kommentar

  1. Meas sagt:

    Trauriges Fazit: die Friedensbewegung ist tot. Egal ob Ukraine oder Nahost; wenn’s ’nen Versuch der Differenzierung gibt, wird dieser vom Hass verschlungen oder geht in Gleichgültigkeit unter. Bleibt den Anmelder*Innen von ARAB zugute zu halten, dass sie die Versammlung beendet haben, als die Stimmung der Demonstrant*Innen ins Nationalistische kippte. Vielleicht war es naiv, zuviel Hoffnung auf diesen echt guten Aufruf zu setzen. ‚Nen Danke an die ARAB und ’nen Schade an die sogenannte linke Bewegung …