Bericht der Interbrigadas zur Brigade Berta Cáceres

Während ich im März für die Interbrigadas zu einer Erkundung auf Kuba im dortigen Kulturprojekt »Ventana al Valle« war, wirkten Genoss*innen von mir an der Seite der Landarbeiter*innengewerkschaft SOC-SAT Almeriá im südspanischen Andalusien. Hier findet ihr die Texte der Solibrigade: (die Überschriften sind Links auf die bebilderten Originalartikel)

Inhalt

Die Brigade Berta Cáceres (Teil 1) – Ankunft und Auftakt

Am 02. März landete unser Flieger in Malaga. Nach den ersten Erledigungen trafen wir uns sogleich mit den Gewerkschafter*innen der SOC-SAT in deren Büro in Almería. Im Anschluss an ein erstes Kennenlernen stellten wir den Genoss*innen unser Kursprogramm vor und besprachen unseren gemeinsamen Plan für die nächsten Wochen.

Eine der Aufgaben der Brigade ist es, mithilfe von Workshops auch innerhalb schon bestehender Aktivitäten der Gewerkschaft in den Orten Almería, San Isidro und El Ejido auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen und diese konkret zu unterstützen. (Hintergrundinformationen zur Arbeit der SOC-SAT sind im Brigadepost der Brigade Gerda Taro abrufbar unter: Die Brigade Gerda Taro – Gewerkschaftsarbeit im Plastikmeer von Almería)

Unser Sprachkurs richtet sich an die wenig Spanisch sprechenden Migrant*innen und versucht die Hemmungen vor dem Sprechen abzubauen, indem er alltägliche Kommunikationssituationen inszeniert und zu kleinen Sprachspielen anregt. Im Theaterkurs wollen wir Szenen des Alltags nachstellen, aber auch Probleme und Wünsche der Teilnehmer*innen thematisieren und dramaturgisch verarbeiten.

Die verschiedenen Spiele und Schauspielübungen unterstützen zudem die sprachliche Ausdrucksfertigkeit. Im Workshop der visuellen Kommunikation lernen die Teilnehmer*innen, wie man Transparente, Stencils und Wandbilder gestalten und somit die eigenen Botschaften und Ideen in der Öffentlichkeit sichtbar machen kann. Nach einem Austausch mit Jugendlichen aus San Isidro kam außerdem die Idee auf, mehrmals in der Woche mit unseren Kampfsportlern ein kleines Sportprogramm anzubieten und gemeinsam mit ihnen ein paar Kicks in die Pratze zu setzen.

Neben dem Kursangebot unterstützten wir die Gewerkschaft, indem unser Rechercheteam Informationen über die Unternehmensstrukturen in der Landwirtschaft rund um Almería sammelt. Ziel ist es, eine Datenbank aufzustellen, welche die bearbeiteten Fälle der SOC-SAT und die beteiligten Firmen beinhaltet. Damit sollen die Zusammenhänge innerhalb der Verwertungskette aufgedeckt werden, um bei Rechtsverstößen auch Druck auf deutsche Handelsunternehmen ausüben zu können.

Am Tag nach unserer Ankunft besuchten wir das Gewerkschaftslokal in San Isidro de Nijar und trafen uns mit einigen Arbeiter*innen vor Ort. Im dortigen Büro gab es in den letzten Jahren eher wenig Aktivität, obwohl in der Umgebung ein hoher Bedarf an gewerkschaftlichem Engagement besteht, wie wir auch in unserem Gespräch feststellten. Wir bekamen den Eindruck einer massiven Frustration von den Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft aber gleichzeitig signalisierte uns die Gruppe auch eine Bereitschaft zum gemeinschaftlichen Widerstand und ein reges Interesse an unserer Brigade. Diese Erfahrung verschaffte uns einen Motivationsschub – voller Tatendrang planten wir die Auftaktveranstaltung in der kommenden Woche, um uns noch mehr Leuten in der Gemeinde vorzustellen.

Das Wochenende verbrachten wir neben den Vorbereitungen auch damit, uns in der Gegend um Almería einen Eindruck zu verschaffen. Wir besuchten einige Demos und Kundgebungen und kamen so auch mit anderen regionalen politischen Gruppierungen ins Gespräch, wie z.B. mit Aktivist*innen von ‚Podemos‘ und den ‚Anticapitalistas‘.

Am Montag, den 06.03 fand unsere Ankündigungsveranstaltung in San Isidro statt. Mit einer kleinen Gruppe von Arbeiter*innen drehten wir vorher eine Runde durch die Nachbarschaft, um die Leute der Umgebung auf die bevorstehende Veranstaltung aufmerksam zu machen. Im gut gefüllten Gewerkschaftshaus stellten wir uns und unser geplantes Kursangebot vor. In der daran anschließenden sehr emotional geführten Diskussion berichteten v.a. die männlichen Arbeiter von den niedrigen, gesetzeswidrigen Löhnen, dem Konkurrenzdruck unter den migrantischen Arbeiter*innen und dem Rassismus, der den Einwanderer*innen in der Region entgegengebracht wird. Die erste Reaktion der Besucher*innen auf unsere Präsentation zeigte uns, dass sie mehr Interesse an einer Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen haben als an der Teilnahme an unseren Kursen. Andererseits wurde aber auch deutlich, wie bedeutsam für die Leute vor Ort ein gemeinsamer Raum ist, um sich über die eigene Lebenswirklichkeit und die damit zusammenhängenden Probleme auszutauschen. Wir betonten gemeinsam mit den Gewerkschaftsgenoss*innen Spitou und Carmen die Bedeutsamkeit von gewerkschaftlicher Selbstorganisation und verwiesen darauf, dass unsere Kurse die Gelegenheit bieten, sich mit Berufs- und Alltagsproblemen auf verschiedene Art und Weise auseinanderzusetzen.

Am 07. März präsentierten wir unser Programm im Gewerkschaftsbüro der SOC-SAT in El Ejido. Im Vorfeld unserer Abendveranstaltung besuchten wir die “Area de la mujer”. Diese von der Gewerkschafterin Carmen organisierte Veranstaltung bietet einmal in der Woche mehrere Aktivitäten an, um die vornehmlich marokkanischen Frauen dabei zu unterstützen, ihren Alltag möglichst selbstständig zu bewältigen. Da vor allem die Erwachsenen kaum Spanisch sprechen, bietet sie Sprachkurse an, vermittelt Kenntnisse im Umgang mit dem Computer und begleitet bei Arztbesuchen oder Behördengängen. Neben den gemeinschaftlichen Aktivitäten mit den Frauen findet im Büro von El Ejido eine Beratung zu arbeitsrechtlichen Fragen statt.

Nachdem wir einige Frauen der “Area de la mujer” bei Gruppenspielen ein wenig kennenglernt hatten, stellten wir am Abend unsere Brigade und unser Kursangebot für El Ejido vor. Im Anschluss bereiteten wir gemeinsam mit den Frauen und ihren Kindern die Demonstration am Frauenkampftag vor, indem wir mit ihnen Schilder aus Pappkarton anfertigten und ein großes Transparent für die Demonstration am Frauenkampftag gestalteten. Am Rande dieses ersten Kurses der visuellen Kommunikation konnten wir den Besucher*innen in entspannter Atmosphäre näherkommen und uns miteinander austauschen.

Zum Internationalen Frauenkampftag lud die SOC-SAT in Almería zu einem gemeinsamen Fest. Die Veranstaltung wurde von den Frauen der “Area de la mujer” in El Ejido sowie Almería besucht. Die meisten kamen festlich gekleidet in traditionellen marokkanischen Gewändern und brachten vielerlei Gebäck, sodass der Tisch den ganzen Abend mit leckeren Speisen gedeckt war. Zu den Aktivitäten, welche Carmen, Laura und Maria vorbereitet hatten, zählten Vorträge zu Themen wie Diskriminierung am Arbeitsplatz und die Geschichte des Feminismus sowie kurze musikalische Zwischenspiele. Die marokkanischen Frauen führten unter Abwesenheit der Männer traditionelle Tänze vor und sangen Lieder zu Ehren der Frau.

Wir konnten im gut gefüllten Büro auf unsere Kurse aufmerksam machen und uns einzeln der Frauengruppe vorstellen. Im Anschluss an den gemeinsamen Abend bei der SOC-SAT gingen wir mit den Frauen aus El Ejido zur Demonstration anlässlich des Weltfrauentages in der Innenstadt von Almería. Wir reihten unser Transparent des feministisch-migrantischen Kampfes neben das der anderen beteiligten Gruppen, wie der Student*innen-Gewerkschaft und Podemos. Für viele junge Frauen war es das erste Mal, dass sie an einer Demonstration teilnahmen. Einige sagten uns sogar ab, weil sie Angst hatten, aufgrund politischer Aktivität verstärkt an Diskriminierung zu leiden.

Unsere diesjährige Brigade trägt den Namen der Menschenrechts- und Umweltaktivistin Berta Cáceres aus Honduras. Cáceres war eine der Mitbegründer*innen der Organisation COPINH (Consejo Cívico de Organizaciones Populares e Indígenas de Honduras), welche sich für die Erhaltung von Naturräumen und die indigenen Gemeinden der Lenca einsetzt. Die Lenca als größte indigene Gruppe in Honduras werden in den letzten Jahren zunehmend durch die Aktivitäten von Energie- und Bauunternehmen in ihrer Heimat bedroht. Zuletzt wurde in diesem Zusammenhang vor allem das Staudammprojekt Agua Zarca am Fluss Rio Gualcare bekannt, wodurch den indigenen Gemeinden der Region die wichtigste Wasserzufuhr genommen worden wäre. Während der seit 2013 stattfindenden Proteste gegen das Bauvorhaben verschwanden mehrere Aktivist*innen der COPINH oder wurden Opfer der Repression durch das Militär. (siehe z.B. https://amerika21.de/2013/07/83778/tomas-garcia oder https://amerika21.de/2014/04/99317/rio-blanco-april)

Cáceres, welche selbst wegen ihres Engagements gegen den Bau in Agua Zarca inhaftiert wurde, führte trotz mehrerer Morddrohungen und Einschüchterungsversuche ihren Kampf gegen die Enteignung indigener Territorien und die Privatisierung natürlicher Ressourcen fort, wie sie in Honduras im Zuge neoliberaler Entwicklungspolitik vor sich geht. Sie trotzte damit der Tatsache, dass durch die zunehmende Militarisierung seit dem Putsch im Jahr 2009 und die Entstehung von quasi rechtsfreien Zonen im Land eine der höchsten Mordraten weltweit herrscht und der Widerstand gegen die rücksichtslose Expansion von Großunternehmen und der Einsatz für Menschenrechte lebensbedrohlich ist. Obwohl das Ausmaß der Bedrohung für Berta Cáceres bekannt war und sie von der interamerikanischen Menschenrechtsorganisation Schutz zugesagt bekommen hatte, unternahmen laut COPINH die Behörden nichts, sodass sie am 03. März 2016 von zwei Männern ermordet werden konnte. Die Ermittlungen in ihrem Mordfall und seine Darstellung in der Öffentlichkeit sind seither von staatlicher Manipulation geprägt.

Ihr Mut und ihr Einsatz für die Rechte von Minderheiten ist für unsere Arbeit hier vor Ort eine Inspiration.

Rassismus und Polizeigewalt in Almería – Der Fall Hamid M.

1. Der Fall Hamid M.

Am Freitag den 17.März 2017 um kurz vor zwei Uhr nachmittags, fuhren zwei Polizisten der Guardia Civil zum Haus von Hamid M. in San Isidro de Nijar, 30 Kilometer östlich von Almería. Dessen Tochter hatte den Notarzt angerufen, nachdem ihr an Parkinson erkrankter Vater am Morgen seine Tabletten falsch dosiert hatte und infolgedessen einen Anfall bekam. Der 52-jährige Marokkaner hat eine lange und im Ort bekannte Krankheitsgeschichte. Immer wieder verlor er aufgrund seiner Krankheit und hinzukommenden psychischen Problemen die Kontrolle über sein Verhalten. Seine Familie bemühte sich seit längerem um einen Platz in einer geeigneten Betreuungseinrichtung. Der Notdienst schickte aber zunächst keinen Krankenwagen, sondern einen Streifenwagen der Guardia Civil, da sie aufgrund von Schreien Hamid M.‘s, welche während des kurzen Telefonats im Hintergrund zu hören waren, von einer Situation innerfamiliärer Gewalt ausgingen. Kurz darauf war Hamid M. tot.

Was genau vor dem kleinen Reihenhaus der Familie M. geschah, ist bis dato noch nicht geklärt. Vieles ist im Dunkeln und wird sich hoffentlich in den nächsten Tagen und Wochen aufklären. Ein polizeiliches Ermittlungsverfahren ist im Gange und der Körper von Hamid M. wird einer Autopsie unterzogen werden. Dennoch ist es nötig, sich bereits jetzt zivilgesellschaftlich intensiv mit dem Fall auseinanderzusetzen. Denn noch am Nachmittag des 17.März kursierten in verschiedenen Zeitungen wie „La Voz de Almería“ oder „Ideal“ Versionen des Vorfalls, welche den Schilderungen von Augenzeugen und Angehörigen widersprechen.

Zudem gibt das Vorgehen der Polizeikräfte in verschiedenen Punkten Anlass zu Zweifeln an der Angemessenheit und Rechtmäßigkeit des Vorgehens. Außerdem steht das polizeiliche Verhalten im Fall von Hamid M. aus der Sicht vieler Migrant*innen in einer langen Reihe von Polizeigewalt, willkürlicher Behandlung und struktureller Benachteiligung in der Gegend um Almería. Und nicht zuletzt zeigen die Erfahrungen aus vorherigen ähnlich gelagerten Fällen, dass die Polizei häufig geneigt ist, eigenes Fehlverhalten zu rechtfertigen und auf der Angemessenheit des eigenen Vorgehens zu beharren.

2. Zeugen- und Angehörigenberichte vom 17. März

So schilderten Augenzeugen das Vorgehen der Polizei als unverhältnismäßig. Als die zwei Polizisten der Guardia Civil zur Tür der Familie M. gelangten, sei Hamid M. nach einem mehrminütigen Wortgefecht und Versuchen der Polizei ihn festzunehmen aus der Tür auf den Bürgersteig getreten und dabei hingefallen. Daraufhin hätten sich die Polizisten auf dessen Rücken gesetzt und versucht ihm Handschellen anzulegen. Dies sei zunächst nur bei einem Arm gelungen, woraufhin es zu Zwangseinwirkungen auf Hamid M. kam. Insbesondere habe ein Polizist seinen Fuß in den Nacken von Hamid M. gedrückt. Laut den Augenzeugen begann Hamid M. infolge dieser Einwirkung stark aus dem Mund zu bluten. Schließlich merkten die Polizisten, dass Hamid M. sich nicht mehr bewegte. Nach Angaben der Tochter von Hamid M. versuchte sie, sowie ihre Mutter und ein Nachbar der Familie, während dieser ganzen Zeit den Polizisten verständlich zu machen, dass Hamid M. unter schweren gesundheitlichen Problemen litt und eine solch schwerwiegende Einwirkung auf diesen fatale Folgen haben könnte. Nachdem die Polizei vom nunmehr leblosen Körper von Hamid M. abließ und schließlich der ursprünglich angeforderte Krankenwagen eintraf, entfernten sich die zwei Polizisten vom Ort des Geschehens und wurden von zwei Kollegen abgelöst. Jegliche Reanimierungsversuche, die nach Angaben des Sohnes von Hamid M. erst nach Eintreffen des Krankenwagens eingeleitet wurden, scheiterten. Als besonders erniedrigend empfand die Familie den Umstand, dass die Polizisten nicht sofort versuchten Hamid M. zu reanimieren.

Zudem berichteten Angehörige des Opfers, dass die Polizei zwei Personen, die die Vorgänge mit ihren Mobiltelefonen filmten, diese abnahm, um die gemachten Aufnahmen zu löschen. Die noch am selben Tag veröffentlichten Presseberichte unterscheiden sich in verschiedenen Aspekten grundlegend von den Berichten der Familie M. und den Augenzeugen. Einhellig wird vom Grund des Erscheinens der Polizei von „Violencia Machista“ (genderspezifischer Gewalt) von Hamid M. gegenüber seiner Frau gesprochen. Jedoch verneinte die Familie M., einschließlich der Ehefrau von Hamid M., dass es von Seiten des Verstorbenen zu gewalttätigen Handlungen gekommen sei. So habe es zwar Probleme aufgrund der Krankheit gegeben und das Verhalten von Hamid M. sei infolge von Anfällen immer wieder unberechenbar gewesen. Jegliche Berichte über innerfamiliäre Gewalt gegenüber seiner Frau wurden allerdings aufs Schärfste zurückgewiesen.

Auch wird berichtet, dass der Sohn von Hamid M. die Polizei gerufen habe. Dieser verneinte dies jedoch und verwies darauf, zum fraglichen Zeitpunkt noch in der Arbeit bzw. anschließend bei einer Freundin gewesen zu sein. Vielmehr rief die Tochter nach eigenen Angaben den Notarzt, damit dieser ihrem Vater helfe. Des weiteren legten ersten Medienberichte nahe, dass es sich bei der Todesursache um einen Herzinfarkt handele. Die Familie verurteilte diese voreiligen Schlüsse, bevor es zu einer gerichtsmedizinischen Untersuchung des Körpers gekommen ist. Zudem bemängelte die Familie, dass bei Fernsehbeiträgen die Interviews von Zeug*innen an den Stellen geschnitten wurden, an denen die Polizei belastet wurde.

3. Reaktion der migrantischen Community

In den Stunden nach dem Vorfall verbreitete sich die Nachricht vom Tod des 52-Jährigen rasend schnell in San Isidro. Schon um 17 Uhr kamen mehrere Hundert Migrant*innen zusammen auf der Hauptstraße des kleinen Ortes zusammen, um Aufklärung und Gerechtigkeit zu fordern. Ohne Erlaubnis zogen sie vom zentralen Platz von San Isidro mehrmals durch den Ort, um ihre Demonstration schließlich vor dem Haus von Hamid M. zu beenden. Die aufgebrachten Menschen riefen „No al racismo!“ (Nein zum Rassismus!) und „Queremos justicia!“ (Wir wollen Gerechtigkeit!). Die Guardia Civil war zwar während der etwa zweistündigen Aktion präsent, schritt aber nicht ein.

Am Sonntag den 19. März fanden sich mehr als 800 Menschen vor dem Haus von Hamid M. ein, um gemeinsam zu trauern, der Familie zur Seite zu stehen und ihre Wut angesichts des Todes von Hamid M. und der strukturellen Diskriminierung der migrantischen Bevölkerung von San Isidro auszudrücken. Auf großen Plakaten forderten sie Gerechtigkeit, ein Ende von Rassimus und Gewalt und ein friedliches und auf gegenseitigem Respekt beruhendes Zusammenleben von Spanier*innen und Migrant*innen. Angehörige und Freunde von Hamid M. sprachen zu der Menge und forderten die Ermittlungsbehörden zur sorgfältigen und vorurteilsfreien Untersuchung des Todesfalles auf.

In den Redebeiträgen wurde klar, dass sich für die migrantische Gemeinschaft im Fall Hamid M. ein strukturelles Problem spiegelt. Tagtäglich erfahren sie Benachteiligung und Ausgrenzung aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion. Vor allem in Kontakt mit staatlichen Stellen, und insbesondere mit der Polizei, erleben die Menschen Willkür und Erniedrigung. Einhellig riefen sie: „Wir sind Menschen, keine Tiere!“.

Diese starke Reaktion der migrantischen Zivilgesellschaft und das bewusste Suchen der Öffentlichkeit durch Angehörige und Zeug*innen hat mittlerweile dazu geführt, dass erste Medienorgane ihre Darstellungen vom letzten Freitag korrigiert haben und nunmehr die oben aufgeführten Augenzeugen- und Angehörigenberichte berücksichtigt werden. Weiterer sozialer Druck und die aufmerksame Beobachtung des weiteren polizeilichen Vorgehens ist unbedingt nötig, um sicherzustellen, dass die Hintergründe des Todes von Hamid M. vollständig aufgeklärt werden.

4. Polizeigewalt in Almería

Die Wut und Empörung der Migrant*innen erklärt sich aus der Geschichte von polizeilicher Gewalt und Willkür. Immer wieder überschreitet die Guardia Civil und die lokale Polizei im Kontakt mit Migrant*innen die Grenzen der Angemessenheit und der Verhältnismäßigkeit. Das Verhältnis zwischen der migrantischen Bevölkerung in Almería und Umgebung ist von Misstrauen, Angst und Ablehnung geprägt.

Im Laufe der letzten Jahre gab es immer wieder Fälle, welche diesen strukturellen Missstand ans Licht der Öffentlichkeit trugen. So werfen viele Migrant*innen der spanischen Polizei bis heute vor, während der rassistischen Ausschreitungen im Februar 2000 nicht ausreichend eingegriffen zu haben, um Migrant*innen vor Angriffen zu schützen.

Auch kam es nach gewaltsamen Todesfällen von Migrant*innen immer wieder zu Vorwürfen der mangelnden Aufklärungsarbeit durch die spanische Polizei – zuletzt im Dezember 2015 als ein Mann aus Guinea-Bissau in El Ejido getötet wurde und es im Anschluss zu Ausschreitungen kam. Doch die strukturelle Gewalt gegenüber der migrantischen Bevölkerung manifestiert sich auch im alltäglichen Leben tausendfach – Racial Profiling, unverhältnismäßige Kontrollen, herablassende Behandlung durch Polizist*innen und die Erschwerung des Zugangs zum Rechtsweg gehören zu konstanten Erfahrungen von Migrant*innen in Almería.

5. Nein zum Rassimus! Wir wollen Gerechtigkeit!

Seit 2013 beschäftigt sich Interbrigadas e.V. mit der Situation migrantischer Arbeiter*innen in der Landwirtschaft rundum Almería, Spanien. Derzeit befindet sich die nunmehr dritte Brigade namens „Berta Cáceres“ vor Ort, um die Arbeit der lokalen Landarbeiter*innengewerkschaft SOC-SAT in ihrem Kampf gegen Ausbeutung und Diskriminierung zu unterstützen.

In dieser Zeit haben wir die schwierige Situation der Migrant*innen, die Ausbeutung, Ausgrenzung und strukturelle Diskriminierung kennengelernt. Unsere Arbeit zielt darauf ab, durch internationalistische Vernetzung und transnationale Kooperation mit Akteuren vor Ort die Strukturen des Status Quo der Ausbeutung und des Rassimus anzugreifen. In den verbleibenden zwei Wochen der aktuellen Brigade und darüber hinaus werden wir den Fall Hamid M. und die Situation der strukturellen Diskriminierung von Migrant*innen durch staatliche Stellen weiter kritisch begleiten.

Hiermit wollen wir der Familie von Hamid M. unser tiefempfundenes Mitgefühl aussprechen. Wir hoffen sehr, dass die große Unterstützung aus der migrantischen Gemeinschaft ihnen in dieser schweren Zeit hilft und ihnen Stärke gibt. Wir fordern den spanischen Staat und die zuständigen Ermittlungsbehörden zu einer sorgfältigen, ausführlichen und vorurteilsfreien Untersuchung des Vorfalls vom 17. März auf.

Wir fordern den marokkanischen Konsul und die Auslandsvertretungen des Königreichs Marokko dazu auf, ihren Landsleuten in Spanien die notwendige Unterstützung zu leisten. Es ist Zeit, die Selbstorganisierung von Migrant*innen solidarisch und tatkräftig zu unterstützen und staatliches Unrecht gegenüber Minderheiten nicht weiter hinzunehmen. Rassistischer Ausgrenzung, polizeilicher Willkür und der Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen muss entschieden und organisiert entgegengetreten werden. Nur so ist es möglich ein offenes, gerechtes und solidarisches Europa für alle und von unten zu errichten.

Wir werden weiter an der Seite selbstorganisierter Migrant*innen kämpfen – Nein zum Rassimus! Wir wollen Gerechtigkeit!

Die Brigade Berta Cáceres (Teil 2) – Workshops und Arbeitskampf

Seit unserem letzten Brigadebericht ist eine Woche vergangen und unser Kursprogramm ist mittlerweile in vollem Gange. Wir sind an allen drei Standorten der SOC-SAT in Almería aktiv und dadurch mit vielen Frauen, Männern und Kindern in Kontakt gekommen. Während dieser Zeit haben wir viele Gespräche und Diskussionen geführt und auch einige Freundschaften geknüpft. Dies hat uns einen Einblick in die verschiedenen Facetten der hiesigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse gegeben.

Aufgrund einer entgegen unserer Erwartungen großen Nachfrage in dem seit drei Jahren nahezu ungenutzten Gewerkschaftsbüro in San Isidro legen wir mit unserer Brigade einen Fokus auf die Wiederbelebung dieses Raums. Wir bieten dort nahezu jeden Tag der Woche Sport- und Spanischkurse sowie Kurse der visuellen Kommunikation an. Diese werden vor allem von einer Gruppe aus vorwiegend marokkanischen Arbeiter*innen besucht, die wir seit dem 7. März in ihrem Arbeitskampf unterstützen.

Das Büro soll ein Ort für nachhaltige Selbstorganisation werden, was aber für die relativ kleine Gruppe von Arbeiter*innen und angesichts ihrer prekären Lebenssituation nicht einfach ist. Wir sehen für uns vor allem die Gefahr, in bester „Polit-Tourist-Manier“ mit unseren Aktivitäten etwas groß aufzublasen, was nach unserer Abreise wieder in sich zusammenfällt. Stattdessen wollen wir helfen, eine stabile Entwicklung in Gang zu setzen, die die Menschen vor Ort selbst tragen können. Nach einigen Gesprächen hat sich bereits eine Person gefunden, die bereit wäre, zumindest die Spanischkurse fortzuführen. Des Weiteren ist eine Zusammenarbeit mit einer lokalen Gruppe von Podemos geplant. Dieser fehlt nämlich derzeit ein Büro und sie haben vor, das Büro mit zu nutzen. In welcher Form es mit ihnen zu einer Übereinkunft kommt, steht allerdings noch nicht fest.

Neben unserem Kursangebot besteht ein Großteil unserer Arbeit in der Unterstützung des oben beschriebenen Arbeitskampfes in San Isidro. Diese äußert sich in erster Linie in internationaler Öffentlichkeitsarbeit und der Vernetzung mit politischen Akteuren sowie der Gestaltung von Transparenten und der Unterstützung bei der Organisation einer Demonstration am kommenden Freitag.

Den Start für unsere Kursphase machten die 4 Brigadist*innen des Theaterkurses am 09. März in El Ejido. Es kamen überwiegend Frauen der Programa de la Mujer, insgesamt ca. zehn Personen. Für die geplanten Aktivitäten war es zunächst sehr wichtig, einander kennenzulernen und ein Gruppengefühl zu entwickeln. Dafür stellte sich beispielsweise jede Person mit ihrem Namen und einer individuellen Bewegung vor. So wurden die allergrößten Hemmungen abgebaut und die Stimmung gelockert. Gleichzeitig war zu spüren, wie schwer es vielen Teilnehmer*innen fiel, aus sich herauszukommen. Um den Raum genauer zu erkunden und erste Interaktion zu erproben, führten wir Spiele und kleinere Schauspielübungen durch, die in den folgenden Stunden langsam intensiver wurden. Wir fingen an, mit den Teilnehmer*innen Emotionen durch Tonfall und Mimik zu transportieren und kleine, ausgedachte Geschichten vor den anderen als Publikum zu erzählen.

Ebenfalls am Abend des 09. März wurde in El Ejido noch die Außenwand im Rahmen des Kurses zur visuellen Kommunikation gestaltet. Nach einem kurzen Input über bisherige Wandbilder im Rahmen internationaler Brigaden wurden aus vorbereiteten Motiven Stencils gebastelt und diese an die Wand gebracht. Das Ergebnis war eine gesprayte Werbetafel für den am Sonntag anstehenden Filmabend. Bis auf einen kurzen Aufreger, als rassistische Nachbar*innen ein Ei nach den malenden Frauen warfen (und sie verfehlten), war das ein erfolgreicher erster Tag in El Ejido.

Zeitgleich fand auch unsere erste Aktivität im Büro in San Isidro statt. Wir malten gemeinsam mit den kürzlich entlassenen Arbeiter*innen ein Transparent und mehrere Schilder für ihre Kundgebung am 10. März, um vor dem Tor der Finca gegen die unrechtmäßige, politisch motivierte Entlassung zu protestieren. Diese verlief zunächst sehr ruhig, wenn auch entschlossen und energiegeladen. Als ein (angeblicher) Vertreter des Unternehmens zu provozieren begann und die Guardia Civil rief, konnte Laura, die Rechtsanwältin der SOC-Sat Almería schlichten. Seitdem stehen die Arbeiter*innen jeden Werktag ab 8 Uhr morgens vor dem Tor und warten auf ihren noch nicht ausgezahlten Lohn.

Nach dem vierstündigen Protest am Morgen sahen wir uns am Abend zum ersten Filmabend in San Isidro. Um den Arbeiter*innen ein Beispiel für die Internationalität ihres Kampfes zu geben, zeigten wir eine spanischsprachige Dokumentation über die Coalition of Immokalee Workers. Es handelt sich dabei um eine Basisorganisation migrantischer Landarbeiter*innen im Südwesten Floridas, die im gleichen Landarbeitssektor und unter ähnlich prekären Arbeitsbedingungen litten wie die Arbeiter*innen in der Region von Almería heute. Die Dokumentation zeigt, wie mithilfe von Streiks und öffentlichen Aktionen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Lohnerhöhungen erreicht wurden.

Leider waren wir diesmal nicht ausreichend auf die Anwesenheit so vieler Kinder vorbereitet. In Kombination mit schlechter technischer Ausstattung war der Film so nur schlecht zu verstehen. Es war schwer, die Konzentration aufrechtzuerhalten, da die englischen Untertitel von den wenigsten der Anwesenden gelesen werden konnten. Aufgrund dessen gaben wir im Nachhinein einen kurzen Abriss über den Inhalt und die zentrale Botschaft, der danach ins Arabische übersetzt wurde.

Am Samstag gönnten wir uns die erste und einzige längere Auszeit der Brigade, indem die Mehrheit der Brigadist*innen in das malerische Dorf Rio del Agua fuhr, wo das kleine „Festival en defensa del agua“ stattfand.

Da wir aus den Fehlern von Freitag gelernt hatten, warteten wir am Sonntag in El Ejido mit gutem Ton und durchgeplanter Kinderbetreuung auf. Doch auch hier gelang es den knapp 40 Besucherinnen aufgrund mangelnder Spanischkenntnisse nicht, „Pan y Rosas“ (Brot und Rosen) zu folgen. Wir kürzten den zweistündigen Film auf die relevanten Szenen und in angemessenen Abständen gab Carmen, die Verantwortliche der SOC-SAT für die „Area de la mujer“, eine Zusammenfassung des Inhalts und der wichtigsten Botschaften, was wieder ins Arabische übersetzt wurde. Wir zogen die Konsequenz, vorerst keine Filmabende mehr zu veranstalten.

Am Montag, den 13. März schlug das bisher sommerlich sonnige Wetter in immense Regengüsse und starken Wind um. Doch auch das hielt die Arbeiter*innen und uns nicht davon ab, sich weiterhin vor dem Tor der Finca zu versammeln. Der Spanischkurs am Nachmittag war gut besucht und es wurden mit viel Hingabe erste Sprachspiele und -übungen umgesetzt.

Der Regen, der sogar einige Gewächshäuser zum Einsturz brachte, hörte am Dienstag wieder auf. Nachdem am Morgen bereits der Theaterkurs in El Ejido stattgefunden hatte, sollten wir am Dienstagnachmittag dort auch zum ersten Mal unseren Spanischkurs anbieten. Entgegen unserer Informationen können die meisten der knapp 30 Frauen weder lesen noch schreiben. Dieser Umstand und die Größe der Gruppe führten dazu, dass wir die Übungen vom Vortag nicht wie gewünscht umsetzen konnten. Für unsere anfangs angedachten, dann jedoch verworfenen Alphabetisierungskurse besteht hier dringender Bedarf. Während wir in El Ejido mit den Frauen Standardphrasen übten und mit ihren Kindern Jonglierbälle bastelten, wurde im Büro in Almería unsere Videoreportage zum Arbeitskampf in San Isidro fertiggestellt.

Diese sorgte bei den betroffenen Arbeiter*innen für große Begeisterung. Wir präsentierten sie ihnen am Mittwoch vor Beginn des Kurses der visuellen Kommunikation in San Isidro. Von der Euphorie profitierten alle Anwesenden bei der künstlerischen Gestaltung des Büros. Mit einem kämpferischen Wandgemälde und einzelnen Bildern brachten wir neben den Aktivitäten auch etwas Farbe in den zuvor unbenutzten Raum.

Am Donnerstag fand wieder der Theaterkurs in El Ejido statt. Leider ließ sich bisher wenig Kontinuität in den Kurs bringen, da die Teilnehmenden häufig wechseln oder über den ganzen Vormittag verstreut kommen. Trotzdem hatten wir gerade an diesem Tag viel Spaß. Abends sollte ursprünglich der Kurs zur visuellen Kommunikation stattfinden, doch da er sich mit Lauras Angebot zur Arbeitsrechtsberatung überschnitten hätte, beschränkte er sich auf ein Angebot zur Kinderbespaßung, während die Frauen sehr interessiert Laura zuhörten, Fragen stellten und von ihren Arbeitsbedingungen erzählten.

Auch am Freitag, dem 17. März unterstützen wieder einige von uns die Arbeiter*innen am Tor zum Gelände der Gewächshäuser in San Isidro bei ihrem Protest. Seit einer Woche harrten sie nun mittlerweile jeden Morgen mehrere Stunden bei starkem, kaltem Wind aus. Einer der kämpferischsten Arbeiter*innen, Mohammed, hatte uns schon mehrfach zu sich eingeladen.

Ein Teil der Gruppe besuchte ihn anschließend in seinem Haus, um nachmittags mit den anderen im Büro der SOC-SAT in San Isidro zum interkulturellen Abend zusammenzutreffen. Doch dazu sollte es nicht kommen. Als wir gerade ins Büro fahren wollten, erfuhr Mohammed vom Tode Hamid M.s während seiner Festnahme durch die Polizei. Wir fuhren in die Stadt und begleiteten ca. 300 Menschen bei einer wütenden, aber friedlichen Demonstration bis zum Haus des Toten. An uns bzw. unsere Kameras wurden manche Erwartungen gestellt, sowohl als Tor zur Öffentlichkeit, als auch als Schutz vor der Polizei. Der Abend im Büro verging mit Momenten der Trauer, der angeregten Diskussion und der Wut – nicht zuletzt angesichts der ersten, sehr tendenziösen Presseberichte.

Samstagvormittag fuhren wir wieder nach San Isidro, um mit den Arbeiter*innen und anderen das weitere Vorgehen zu besprechen. Auf der Demo am Tag zuvor war die Information gestreut worden, am Sonntag finde 11 Uhr eine Kundgebung vor dem Haus des toten Hamids statt. Die Diskussion im Büro der Gewerkschaft wurde sehr emotional, als es um die Teilnahme an dieser Kundgebung ging. Da niemandem die Organisator*innen bekannt waren, musste davon ausgegangen werden, dass es sich um eine unangemeldete Demo handelte. Angesichts des unsicheren bis illegalen Rechtsstatus vieler potentieller Teilnehmer*innen, angesichts des rigiden neuen Versammlungsgesetzes in Spanien (auch „ley mordaza“, also Knebelgesetz genannt) und angesichts der aufgeheizten Stimmung am Vortag erachteten ältere Gewerkschaftsvertreter*innen die Teilnahme als große Gefährdung. Indes stand fest, dass die Demo stattfinden und sich hunderte Menschen beteiligen würden.

Gegen Mittag fuhren einige von uns mit Vertretern der Gewerkschaft zu der Familie von Hamid M., um sie ausführlich zu ihrer Version der Vorfälle vom Freitagnachmittag zu befragen und sie zum weiteren Vorgehen ihrerseits zu beraten. Abends lud Mohammed die gesamte Brigade zu sich nach Hause ein, wo er und seine Frau uns königlich mit marokkanischem Essen bewirteten.

Am Sonntag, dem 19. März fuhren zwei Brigadist*innen mit Carmen und Laura von der SOC-SAT und Mohammed nach Granada zur andalusienweiten Versammlung der Gewerkschaft, wo Mohammed über den Arbeitskampf in San Isidro berichtete.

Der Rest der Gruppe fuhr zur Kundgebung nach San Isidro. Anders als befürchtet, handelte es sich um eine angemeldete Standkundgebung, offensichtlich hauptsächlich von der örtlichen Moschee organisiert. Die über 800 Teilnehmer*innen demonstrierten laut gegen Rassismus und Gewalt, für Respekt und friedliches Zusammenleben. Auch über die marokkanische Community hinaus solidarisierten sich Migrant*innen mit der Familie des Toten. Spanier*innen waren kaum anwesend. Die Kundgebung war stark religiös geprägt, wohl nicht zuletzt, weil es sich um eine Trauerveranstaltung handelte. Aber als das Organisationsteam einem Redner das Wort entzog, weil er ihnen zu politisch wurde und die Thematisierung der Lebensverhältnisse migrantischer Arbeiter*innen ihnen hier fehl am Platz erschien, empörte sich die Menge lautstark. Kurzerhand setzten sie den Redner einem anderen auf die Schultern, wo ihm das Mikrofon nicht mehr weggenommen werden konnte.

Abends fand in El Ejido noch ein gemeinsamer Kochabend mit den Frauen der Area de la mujer statt. Wir machten mit ihnen Kartoffelsalat, sie kochten mit uns drei verschiedene Tajines. Die Stimmung war ausgelassen, nur der Kartoffelsalat kam nicht gut an, weil auf der verwendeten Majo auch Weißweinessig als Zutat vermerkt war – der Salat also Alkohol hätte enthalten können.

Es ist viel los in der Provinz Almería. Mit dem Arbeitskampf in San Isidro und dem Tod von Hamid M. sind zwei unvorhersehbare Ereignisse eingetreten, die uns emotional nahegehen und politisch als sehr wichtig erscheinen. Wir investieren daher neben unserem ohnehin straffen Kursprogramm viel Zeit auch in diese Konflikte, soweit wir das aus unserer Position heraus können, ohne ungewollt bevormundend zu agieren oder Abhängigkeiten zu schaffen. Wir bleiben gespannt, was sich noch bewegt!

Die Brigade Berta Cáceres (Teil 3) – Demo, Wandbild, Besetzung

Volles Programm in allen Städten

Nachdem gerade durch den Tod Hamid M.s die letzten Tage des zweiten Brigadeberichts sehr turbulent und voll unvorhergesehener Ereignisse waren, ließ sich die Woche ab dem 21.3. wieder etwas ruhiger angehen, wenn auch nicht weniger arbeitsreich. Jeden Tag fanden in einem oder mehreren der drei Gewerkschaftsbüros Kurse für Spanisch, visuelle Kommunikation oder Arbeitsrecht mit bis zu 40 Teilnehmer*innen statt. Der Theaterkurs wurde, entsprechend der Bedürfnisse der Teilnehmer*innen und angesichts des sehr zögerlichen Fortschritts, mehr und mehr zum Sprachkurs umgestaltet. Zu den meisten dieser Angebote wurde zudem Kinderbetreuung organisiert – bei bis zu 20 aufgekratzten Kindern wohl die anstrengendste unserer Aufgaben. Neben unserem sich weiter vertiefenden Verhältnis zu den Menschen an jedem Ort waren auch die Massen an Gebäck oder die großen, mit Couscous, Fleisch und Gemüse gefüllten Tajines, die sie uns ständig mitbrachten, ein deutliches Feedback. Immer wieder wurden vormittags auch die entlassenen Arbeiter*innen von San Isidro unterstützt, die weiterhin jeden Tag mehrere Stunden vor dem Eingang zu den Gewächshäusern (mittlerweile kurz „Puerta“ genannt) verbrachten, um symbolisch ihren Protest gegen ihre unrechtmäßige Entlassung und die Vorenthaltung ihres Lohns zum Ausdruck zu bringen.

Parallel zu alldem verwirklichten wir in dieser Woche eines der größten Projekte der Brigade: Eine über 30 m breite Wand am Fußballplatz von San Isidro wurde vollständig mit einem großen Mural zu Fußball und gegen Rassismus bedeckt. Nachdem uns kleinkarierte Nachbar*innen in El Ejido Stunk dafür gemacht hatten, dass wir die hässliche Außenwand des Büros verschönert hatten, bot dieses sehr viel größere Wandbild eine gute Kompensation. Hin und wieder unterstützt von unseren Freund*innen aus San Isidro und Kindern des Fußballvereins „Comarca de Nijar“ erweckten wir die einheitlich weiße Wand in drei Tagen zum Leben.

Zum Arbeitskampf mit Agrupaejido

Unser kleines Rechercheteam versuchte derweil die SOC-SAT insofern zu unterstützen, als es sich einige der Arbeitsverträge der 22 entlassenen Arbeiter*innen anschaute, sie dokumentierte und deren Geschichte innerhalb des Unternehmens festhielt. Dabei fiel auf, dass die Arbeiter*innen zwar schon bis zu acht Jahre in den gleichen Gewächshäusern arbeiteten, allerdings über die Jahre von unterschiedlichen Firmen angestellt wurden. Da Informationen über Juarez y Maldonado S.L., das Unternehmen, das sie letzten Endes entlassen hatte, kaum zugänglich waren, fiel unser Blick auf die vorigen Firmen und ihre Geschäftsführer. Dabei wurde klar, dass viele persönliche Verbindungen zwischen den Arbeitgebern und Agrupaejido bestehen. So tauchte beispielsweise der derzeitige Präsident von Agrupaejido, Cicilio Guillén, als Arbeitgeber in einem der älteren Arbeitsverträge auf. Das weckte umso mehr unser Interesse, als Agrupaejido eine der größten Firmen im Gemüsesektor in ganz Spanien ist. Das Unternehmen ist im Bereich der Abpackung, Vermarktung und des Weiterverkaufs tätig. Nur der Anbau wird nicht von ihm, sondern von unscheinbaren Unternehmen wie Juarez y Maldonado S.L. übernommen, gegen die aufgrund der ständig wechselnden Namen nur schwer rechtlich und politisch vorgegangen werden kann. Mit diesen neuen Erkenntnissen beschlossen die Arbeiter*innen und die SOC-SAT, eine Kundgebung vor dem Firmensitz von Agrupaejido für Freitag, den 24.3. anzumelden, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Am Mittwoch davor besuchten zwei Brigadist*innen zusammen mit Mohammed, einem der 22 entlassenen Arbeiter*innen aus San Isidro, mehrere Lokale in verschiedenen kleinen Ortschaften im Plastikmeer um El Ejido. Dort warben sie für die Kundgebung am Freitag. Überall wurde den Dreien großes Interesse entgegengebracht, die größtenteils marokkanischen Arbeiter in den Teestuben fühlten sich angesprochen und konnten eigene, ähnliche Erfahrungen ergänzen. Mohammed betrachtete das Ganze dennoch sehr nüchtern: Immer wären alle sich über die Probleme einig, etwas tun würden dann aber doch die Wenigsten.

Zur Kundgebung am Freitag kamen dann schließlich immerhin ca. 50 Menschen, mitten ins Gewerbegebiet von La Mojonera vor den protzigen Firmensitz von Agrupaejido. Neben den betroffenen Arbeiter*innen und der Brigade waren Vertreter*innen der SOC-SAT und von Podemos anwesend sowie einige Leute aus El Ejido, vor allem Frauen der „Area de la Mujer“. Zwei Stunden lang zog die Kundgebung lautstark den Unmut der Firmenleitung auf sich, von der sich immer wieder Einzelne hinter der verspiegelten Glasfassade versammelten und argwöhnisch auf die Schar herabblickten.

(Offizieller) Abschied der Brigade

Zu Beginn der nächsten Woche wurde es dann schon Zeit für die Abschiedsveranstaltungen, denn das offizielle Ende der Brigade stand unmittelbar bevor. Am Montag, dem 27.3. luden wir beim morgendlichen Besuch der „Puerta“ für abends ins Gewerkschaftsbüro in San Isidro ein – mit dem ausdrücklichen Verweis, diesmal kein Essen mitzubringen! So konnten wir uns endlich mit einem eigenen großen Buffet revanchieren und zeigten zum Schluss eine Bilderpräsentation des vergangenen Monats, in dem gerade in San Isidro ein Ereignis das andere gejagt hatte. Der Abschied dann wurde sehr emotional, alle Seiten spürten, wie nah uns diese turbulente Zeit einander gebracht hatte.

Am nächsten Tag in El Ejido wurden Theater- und Arbeitsrechtskurs abgewandelt, um ebenfalls eine Abschiedsveranstaltung durchzuführen, an deren Ende sich lange beieinander bedankt und alles Gute für die Zukunft gewünscht wurde – wenigstens bis zur nächsten Brigade. Schon ziemlich erschöpft gönnten wir uns direkt im Anschluss noch eine Versammlung mit den Gewerkschafter*innen, um die Brigade auszuwerten und uns dann auch von ihnen zu verabschieden.

Besetzung der Finca „Cerro Libertad“

Nach dem offiziellen Ende unserer Brigade am 30. März beschlossen fünf Teilnehmer*innen, in Andalusien zu bleiben, um die Besetzung der Finca Adarves Altos bei Jaén zu begleiten. Über 100 Tagelöhner*innen und Gewerkschafter*innen der SOC-SAT verschafften sich am Vormittag des 1. April Zugang zu dem etwa 75 Hektar großen Anwesen. Die Bank BBVA hatte die Finca vor fünf Jahren übernommen. Während sich das Grundstück in ein Spekulationsobjekt verwandelte, fiel das Land brach und die etwa 6500 Olivenbäume verwilderten. In der Provinz Jaén, die von Tagelöhnertum während der Olivenernte und sonst grassierender Arbeitslosigkeit geprägt ist, scheint dieser Umstand umso grotesker. Die Besetzer*innen machten sich sogleich an die Arbeit, die Spuren der Vernachlässigung zu beseitigen und die Finca wiederherzurichten.

Gleichzeitig hatten sich weitere 100 Gewerkschafter*innen in der nahegelegenen Provinzhauptstadt zu einer Kundgebung versammelt, um die Sicherheitskräfte von einer Räumung abzulenken. Lediglich eine Streife wagte sich auf die Finca, wo sie jedoch nicht eingriff und sich nach kurzer Zeit, von Sprechchören der Besetzer*innen begleitet, zurückzog. Das Datum der Besetzung fällt auf den ersten Jahrestag der Inhaftierung von Andrés Bódalo, eines lokalen Gewerkschaftsaktivisten, der im Vorjahr unter fadenscheinigen Anschuldigungen festgenommen wurde. Die Gewerkschaft fordert seine sofortige Freilassung. In diesem Zusammenhang wurde die Finca kurzerhand in „Cerro Libertad“ – Berg der Freiheit – umbenannt. Es ist vorgesehen, die Finca langfristig kollektiv und solidarisch zu bewirtschaften, um arbeitslosen Tagelöhner*innen der Region eine würdige Existenzgrundlage zu bieten.

Demo gegen Rassismus und Polizeigewalt

Von Jaén aus kehrten wir noch einmal nach San Isidro zurück. Am Sonntag, dem 2. April wurde zu einer Demonstration gegen Rassismus und Polizeigewalt anlässlich des Todes von Hamid M. aufgerufen. Zwar lag der konkrete Anlass schon mehr als zwei Wochen zurück, jedoch war es aufgrund des repressiven spanischen Versammlungsrechts nicht möglich, eine zeitnähere Demonstrationsgenehmigung zu erhalten. Unsere Befürchtung, dass die mittlerweile verstrichene Zeit seit dem ersten Aufschrei die Leute wieder in die sonst alltägliche Resignation und Lethargie zurückversetzt hätte, schien sich anfangs zu bestätigen: Kaum mehr als zwanzig Personen fanden sich zum Auftakt der Demonstration ein. Jedoch taten die Teilnehmer*innen, wenn auch gering an der Zahl, ihre Überzeugung umso lautstärker kund. So geschah hier tatsächlich das, was in Deutschland nur eine plakative Parole ist: Die Leute ließen das Glotzen sein und reihten sich in die Demo ein! Der Demonstrationszug wuchs innerhalb kurzer Zeit auf über 300 Menschen an (in einem Ort von knapp 6000 Einwohnern) und verbreitete die Losung „Wir fordern Gerechtigkeit“ aus voller Kehle. Während der Abschlusskundgebung vor dem Haus des Verstorbenen brachten einige Teilnehmer*innen in spontanen Redebeiträgen ihren Unmut zum Ausdruck. Dabei machten sie deutlich, dass es ihnen nicht nur um den Einzelfall geht, sondern um das Strukturelle: Alltäglicher Rassismus auf allen Ebenen – Demütigung durch die Polizei, Vernachlässigung im Krankenhaus, Entmenschlichung auf der Arbeit. Auch die Erkenntnis, dass dieser Kampf nur gemeinsam und solidarisch geführt werden kann, wurde von unterschiedlichster Seite betont.

(Endgültiger) Abschied der Brigade

Mit diesen kraftvollen Eindrücken verabschiedete sich die Brigade Berta Cáceres nun endgültig auch aus San Isidro, von den kämpfenden Arbeiter*innen und all denen, die sich hier tagtäglich gegen ihre Ausbeutung und ihre rassistische Unterdrückung zur Wehr setzen müssen. Für uns hört die praktische Solidarität damit aber keineswegs auf: Bereits während der Brigade haben wir auf Wunsch unserer Freund*innen aus San Isidro begonnen, durch die Veröffentlichung von Artikeln und Interviews in deutschen Zeitungen (Junge Welt vom 28. und 30.3.) eine breitere Öffentlichkeit für ihren exemplarischen Fall zu schaffen. Diese Arbeit werden wir in den nächsten Wochen in verschiedenen anderen Zeitungen fortsetzen. Auch für uns stellte das eine gute Möglichkeit dar, unsere bisherigen Erkenntnisse über die wirtschaftliche, politische und rechtliche Situation zu strukturieren, um in Zukunft noch besser auf sie zurückgreifen zu können. Wir bleiben eng verbunden mit den Menschen, die wir hier in Almería so gut kennen- und zu schätzen gelernt haben, und freuen uns, nach der Auswertung dieser Brigade schon mit den Planungen der nächsten beginnen zu können!

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