Sprache als Ausdruck von Pseudoreflexion

Unser Bewusstsein kommt in unserer Sprache zum Ausdruck, wird aber auch durch diese bestimmt. Entsprechend umkämpft ist dieses Feld, wenn rechter Mainstream und fortschrittliche Kräfte um die Köpfe der Menschen konkurrieren. Leider führt dies immer wieder dazu, dass innerhalb der fortschrittlichen Bewegungen ein Wettkampf um die am radikalsten und am reflektiertesten wirkenden Ausdrucksformen geführt wird, ohne dass die dahinterstehenden Positionen besonders radikal sein müssen. Häufig lassen sie massiv an Reflexion zu Wünschen übrig. Erst kürzlich las ich in einem Flyer der Überreste des Hausprojekts Wilder Vogel, welches sich nun »Kollektiv« nennt, dass »Ismen« bei ihnen keinen Platz haben. Ich unterstelle mal, dass es an der bekannten Reflexionsunfähigkeit einiger liegt, dass auf eine Floskel aus dem Bereich der Extremismusdoktrin zurückgegriffen wird.1 Wer gegen jeden »Ismus« ist, steht auch gegen Kommunismus, Anarchismus, Feminismus usw.

Wo im ersten Beispiel somit eine Begrifflichkeit aufgegriffen wird, welche alles abseits der herrschenden »Mitte« ablehnt, werden andersherum manche Worte lediglich angegriffen, um die eigene »Radikalität« durch das Verdrehen historisch gewachsener Sprache zu beweisen. Wer nicht verstehen will, dass das Wort »dämlich« vom Wort »dameln« kommt und sich seinen Ursprung mit »taumeln« teilt,2 kann gerne den nächsten patriarchal-chauvinistischen Stammtisch besuchen. Mit dem Wort »Dame«, welches von »Domina« also »Hausherrin« kommt,3 hat es nichts zu tun, ganz egal, ob irgendwelche Machos es in diesen Hintergrund zu schieben versuchen und Pseudoreflektierte sofort aufspringen und den Stab aufgreifen. Ähnlich verhält es sich übrigens mit der Verbindung des Wortteils »schwarz-« z.B. im Zusammenhang mit dem »Schwarzfahren«. Es bezieht sich auf das nächtliche Schwärzen (Schmuggeln) von Ware, kam also im Mittelalter und noch vor Beginn des europäischen Kolonialismus als Bezeichnung für außergesetzliche Aktivitäten auf.4 Mit Hautfarbe hat es nichts zu tun. Nicht jedes Wort mit »negativer« Bedeutung, welches die deutsche Sprache zu bieten hat, ist diskriminierend und vielleicht sollten wir dies zuerst lernen, wenn wir diskriminierende Handlungen erkennen, reflektieren und angreifen wollen. Natürlich kann mensch sich viel radikaler fühlen, wenn durch die unhistorische und unreflektierte Verteufelung einzelner Worte Ausgrenzung betrieben werden kann, die eine kleine identitätsverliebte Gruppe zurück lässt. Diese ändert nichts an Bewusstsein und Sprache, weil ihr kein Mensch zuhören wird.5

Ich fände es gut, wenn wir Rassismus und Sexismus sowie die unsägliche Extremismusdoktrin überwinden würden. Mit albernen Radikalismen schaffen wir das sicher nicht.

3 https://de.wiktionary.org/wiki/Dame (abgerufen am 18.06.2018).

4 Reiter, Uli: Illegalität. Phänomen und Funktion, 1. Auflage Aufl., Wiesbaden: Springer VS 2016, S. 186.

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