Folgenden Text schrieb ich für das internationalistische Gedenkprojekt »Kämpfen & Gedenken« rund um mein gleichnamiges Musikvideo:
Erich
Kurt Mühsam (06.04.1878-10.07.1934) wurde als Kind eines
Apotheker*innen-Paars in Berlin geboren. Sein Vater war ein Vertreter
jener Art, die ihren Kindern Manieren mit dem Rohrstock beizubringen
versuchten – militaristisch, national-liberal und sehr autoritär.
Schon früh stand für Erich fest, dass er nicht in die Fußstapfen
seiner Eltern treten wollte. Er wandte sich der Literatur und der
Lyrik zu, wobei er vielfach in Berührung mit anarchistischen Ideen
kam. Zu seinen neuen Bekannten zählte unter anderem der
Schriftsteller Gustav Landauer.
Dem
Ersten Weltkrieg und der Kriegsbegeisterung – auch unter
befreundeten Schriftsteller*innen wie Thomas Mann – begegnete er
schnell mit Kritik und brachte sich auch aktiv in Proteste gegen den
Militarismus ein, was ihm zu Kriegsende – ab November 1918 –
sechs Monate Arrest in Traunstein einbrachte. Als der Versuch von
Arbeiter*innen und Soldat*innen, die Macht von Militärs und Kapital
mithilfe einer Revolution zu beseitigen, durch die
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (kurz: SPD) und ihre
verbündeten Freikorps in großen Teilen Deutschlands
niedergeschossen wurde, schlossen sich Erich Mühsam und Gustav
Landauer dem von Kurt Eisner ausgerufenen Freistaat Bayern an.
Strömungsübergreifend engagierten sich dort Marxist*innen,
Anarchist*innen und einige unabhängige Sozialdemokrat*innen für
eine direkte Rätedemokratie, wie sie von den autoritären
Vertreter*innen des Parlamentarismus strikt abgelehnt wurde. Kurt
Eisner wurde am 21. Februar 1919 von einem Mitglied der
faschistischen Thule-Gesellschaft ermordet und am 7. April wurde der
Versuch unternommen, die Errungenschaften des Freistaates Bayern in
der Münchner Räterepublik zu retten, die vier Wochen später durch
Freikorps zerschlagen wurde. Ca. 2.000 Menschen wurden unter
Schirmherrschaft der SPD ermordet und den Freikorps, aus denen sich
später die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (kurz:
NSDAP) und vor allem deren paramilitärische Verbände
»Schutzstaffel« (kurz: SS) und »Sturmabteilung« (kurz:
SA) rekrutieren sollten, der weitere Weg bereitet.
Mühsam
wurde für seine demokratischen Tätigkeiten inhaftiert. In Folge
seiner neuerlichen Hafterfahrung setzte er sich vehement für eine
Gefangenensolidarität von der Kommunistischen Partei Deutschlands
(kurz: KPD), der Kommunistischen Arbeiterpartei
Deutschlands (kurz: KAPD) und der Allgemeinen
Arbeiter-Union – Einheitsorganisation (kurz: AAU-E) über
kommunistische Anarchist*innen bis hin zur anarchosyndikalistischen
Freien Arbeiter-Union Deutschlands (kurz: FAUD)
in der Roten Hilfe ein. Seine bis heute wohl bekannteste
Veröffentlichung aus dem Bereich der Gefangenensolidarität ist das
Stück »Staatsräson« – ein Plädoyer für die Freilassung der
US-amerikanischen Anarchisten Ferdinando Sacco und Bartolomeo
Vanzetti, die die US-Justiz mittels fingierter Beweise verhaften und
1928 hinrichten ließ.
Mit
der Machtübergabe an die NSDAP durch die kapitalistischen Eliten der
Weimarer Republik wurde Erich Mühsam wie viele andere
Antifaschist*innen verfolgt, verschleppt und ermordet. Im KZ
Oranienburg folterten und erhängten ihn die Schergen der SS. Er
hinterließ uns ein reiches Erbe an Gedichten, Bühnendramen und
politischen Sachtexten. Sein Vermächtnis ist außerdem ein Appell
für die Einheit der verschiedenen linken Strömungen im Kampf gegen
Faschismus, Ausbeutung und Krieg.
Vgl. den Reader »Erich Mühsam. Anarchist, Antifaschist, Freigeist« der North-East Antifascists [NEA].
Jeden Abend werfe ich
(von Erich Mühsam; 1909)
Jeden Abend werfe ich
eine Zukunft hinter mich,
die sich niemals mehr erhebt –
denn sie hat im Geist gelebt.
Neue Bilder werden, wachsen;
Welten dreh’n um neue Achsen,
werden, sterben, lieben, schaffen.
Die Vergangenheiten klaffen. –
Tobend, wirbelnd stürzt die Zeit
in die Gruft. — Das Leben schreit!