Wie beeinflusste der Staats-Shintô die »Gleichschaltung« der japanischen Gesellschaft im Imperialen Japan der 30er- und 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts?

Art des Textes: Seminararbeit
Seminar: Ostasien im Zeitalter des Imperialismus
Modul: Einführung in die Neueste Geschichte
Dozentin: Prof. Dr. Sebastian Conrad

Gliederung

1 Einleitung

2 Was ist Gleichschaltung

3 Wie der Staats-Shintô die japanische Gesellschaft beeinflusste

3.1 Verankerung des Shintô in der japanischen Gesellschaft

3.2 Reform des Shintô unter Meiji-Tennô

3.3 Shôwa-Restauration, Kokutai und Kaisertreue

4 Fazit

Fußnoten und Literatur

Weitere Literatur

 

1 Einleitung

Die Gleichschaltung der japanischen Gesellschaft im Imperialen Japan fand ihr Zentrum im Konzept des japanischen Nationalwesens (auf japanisch: Kokutai). Westliche Einflüsse sollten durch vermeintlich urjapanische Ideale verdrängt werden. Der Tennô wurde zum göttlich legitimierten Herrscher erklärt und die Loyalität gegenüber dem Kaiserhaus mit Patriotismus, bzw. Patriotismus mit Loyalität gegenüber dem Kaiserhaus gleichgesetzt. Dies war eine wichtige Grundlage für den aufflammenden Nationalismus in der Gesellschaft, welche den militaristischen und imperialistischen Kurs der japanischen Eliten und die Greultaten des Zweiten Weltkrieges im Ostasiatischen Raum ermöglichte. Hierbei scheint der unter Meiji-Tennô etablierte Staats-Shintô eine tragende Rolle gespielt zu haben, der im Rahmen dieser Arbeit auf den Grund gegangen werden soll.

In einem ersten Schritt muss hierzu kurz der Begriff der Gleichschaltung betrachtet werden. Was wird unter Gleichschaltung verstanden und wie bildet sich diese heraus? Hierzu wird ein Blick auf den Ursprung des Begriffs im nationalsozialistischen Deutschen Reich geworfen. Anschließend wird der Fokus auf den Shintô gerichtet. Was ist der Shintoismus (oder Shintô)? Wie entstand daraus der Staats-Shintô? Und was hat er mit dem Konzept des Nationalwesens und der Treue zum Tennô zu tun? Zum Schluss soll anhand dieser Untersuchungen die Frage behandelt werden, wie der Staats-Shintô die Gleichschaltung der japanischen Gesellschaft im Imperialen Japan der 30er- und 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts beeinflusste. Dies wird sich auf die ideologisch-theoretische Ebene beschränken, da die Betrachtung der Umsetzung in die Praxis der sozialen Realität den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.

2 Was ist Gleichschaltung

Der Begriff der Gleichschaltung bezeichnet ein Konzept des Nationalsozialismus im Deutschen Reich, in dem in einem Prozess eine Umformung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft erzwungen und dem von den Nationalsozialist_Innen1 propagierten Volkswillen unterworfen wurde. Ein erster Schritt war hierbei die Souveränität der Länder des Deutschen Reichs zu zerschlagen und eine Kontrolle durch die Nationalsozialistische Deutsch Arbeiterpartei (kurz NSDAP) zu organisieren. Stück für Stück wurden nach dem gleichen Muster auch Vereine, Organisationen und Unternehmen durch die NSDAP übernommen. Vereine und Organisationen, welche sich nicht in dieses Schema einbinden ließen, wurden verboten.2

Die Gleichschaltung umfasste auch eine Indoktrination von Kindern und Jugendlichen durch Nachwuchsorganisationen wie die Hitlerjugend (kurz: HJ) und ihre Unterorganisationen Deutsches Jungvolk (DJ), Jungmädelbund (JM) und Bund Deutscher Mädel (kurz: BDM). Die Kinder und Jugendlichen sollten hier bereits auf Führer, Partei und Nation eingeschworen werden. 1936 wurde die Mitgliedschaft in der HJ und ihren Unterorganisationen obligatorisch, wodurch der Einfluss auf sämtliche Jugendliche gesichert wurde.3

Bereits in den Organisationen der HJ stand die Vorbereitung der Jungen auf den Krieg und der Mädchen auf das Dasein als Deutsche Mutter im Vordergrund. Neben der ideologischen Indoktrination wurden die männlichen Mitglieder der HJ in Wehrsportübungen geschult und sollten für Waffentechnik begeistert werden. Im BDM wurden die Mädchen und jungen Frauen auf den Dienst an der Heimatfront vorbereitet. Sportliche Ertüchtigung stand auch hier auf dem Programm.4

Wichtige Konzepte der Gleichschaltung waren das Führerprinzip und die Volksgemeinschaft. Das Führerprinzip sieht eine absolute Unterordnung einer Gruppe von Menschen unter einen Führer vor. Solch eine, von einem Führer geleitete, Gruppe kann auf unterschiedlichen Ebenen existieren. Sie kann z.B. ein Verein, eine Familie, eine Organisation, eine militärische Einheit, ein Unternehmen oder auch ein ganzes Volk5 sein. So wie Adolf Hitler der Führer des Deutschen Volkes war, wurde auch ein Verein einem Führer untergeordnet. Als Volksgemeinschaft wurde die Gemeinschaft eines Volkes, im Fall des nationalsozialistischen Deutschen Reichs die Gemeinschaft des Deutschen Volkes, betrachtet. Diese Volksgemeinschaft war nach außen stark abgegrenzt und sollte nach innen solidarisch und dem Volkswillen verpflichtet sein. Wer nicht in die rassistische Ideologie der Nationalsozialist_Innen passte oder dem Volkswillen zuwider handelte, war automatisch aus dieser Volksgemeinschaft ausgeschlossen.6

3 Wie der Staats-Shintô die japanische Gesellschaft beeinflusste

Nach diesem kurzen Abriss über das nationalsozialistische Konzept der Gleichschaltung, soll nun auf die Rolle des Staats-Shintô in der japanischen Gesellschaft eingegangen werden, damit anhand dessen im Anschluss geklärt werden kann, ob sich ein Vergleich zwischen diesem Konzept und der Entwicklung der Gesellschaft im Imperiale Japan ziehen lässt.

3.1 Verankerung des Shintô in der japanischen Gesellschaft

Der sogenannte Shintoismus oder Shintô ist eine tief in der japanischen Gesellschaft verwurzelte polytheistische und animistische Naturreligion und wird mit Weg der Götter übersetzt. Im Shintô werden sogenannte Kami verehrt. Diese sind Naturgeister, welche die Seele eines Tieres, ein Naturphänomen oder eine geografische Gegebenheit verkörpern können. Auch die Seelen von Verstorbenen können als Schutz- oder Wächter-Kami eines Clans oder eines Gebietes verehrt werden. Kami sind im Shintoismus immer und überall präsent und neben diversen offiziellen Schreinen sind ihnen unzählige private Schreine und solche am Wegesrand gewidmet. Dort werden sie mit Gaben und Gebeten – den traditionellen Norito – bedacht.7

Ab dem 6. Jahrhundert n. Chr. wurde die Verehrung der Kami mit jener der Bodhisattva des Buddhismus gleichgesetzt. Diese Verschmelzung wird Shinbutsu-Shûgô genannt und ein berühmtes Beispiel für eine solche Verbindung ist Ôjin-Tennô, der als Hachiman sowohl als Kami als auch ähnlich einem Bodhisattva verehrt wurde. Diese Verbindung der beiden Religionen wurde unter Meiji-Tennô mit der Begründung des Staats-Shintô am Ende der 1860er Jahre aufgelöst und verboten.8

Als wichtigster Kami wird Ama-terasu-oho-mi-kamí, die im Ise-Schrein, einem der heiligsten Schreine des Shintô, als Kami der Sonne vergöttert wird, angesehen. In dieser Position ist sie die oberste Göttin des Shintô-Kultes. Doch auch andere Kami haben wichtige, gottgleiche Positionen inne. Sie leiten die Geschicke der Menschen und beherrschen das Land. Wie weiter oben erwähnt, wurden sogar manche geografische Gegebenheiten mit Kami gleichgesetzt, sodass diese Gegebenheiten in der Landschaft der Japanischen Inseln einen heiligen Status erhielten. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist der Vulkan Fuji. Wenn nun geografische Gegebenheiten auf den Japanischen Inseln heilig sind, so muss dies auf die Japanischen Inseln an sich auch zutreffen, sind sie doch die Heimat dieser auf ihr angesiedelten und manifestierten Kami.9 Dieser Punkt alleine birgt bereits eine Grundlage zu Patriotismus und daraus hervorgehend auch Nationalismus.10

3.2 Reform des Shintô unter Meiji-Tennô

Nachdem sich diese Seminararbeit mit der Verwurzelung des Shintô im Allgemeinen in der japanischen Gesellschaft beschäftigt hat, soll sie sich nun mit dem Staats-Shintô im Speziellen auseinandersetzen. Wie in der Einleitung erwähnt, soll die Bedeutung des Staats-Shintô für die Gleichschaltung der japanischen Gesellschaft in den 30er Jahren sowie in der ersten Hälfte der 40er Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts untersucht werden.

In den Jahren 1867 bis 1868 war das Shôgunat des Tokugawa-Clans gestürzt worden und eine Zentralregierung mit Meiji-Tennô an ihre Spitze gesetzt worden. Um die Legitimation des Tennô als Herrscher zu festigen, wurde der auf ihn gerichtete Shintô-Kult Ende der 1860er Jahre nationalisiert und modernisiert.11 Die traditionelle, im vorangegangenen Abschnitt beschriebene, Ausprägung des Shintô sollte fortan als Kyoha-Shintô (zu deutsch: Sekten-Shintô) bezeichnet werden und war somit vom staatlich geförderten und dem Innenministerium unterstellten Jinja-Shintô (zu deutsch: Schrein-Shintô) abgegrenzt. Als Staats-Shintô wurde der Jinja-Shintô zunächst nur außerhalb Japans bezeichnet und etablierte sich als Begriff in Japan erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Sekten-Shintô wurde, wie auch andere Religionen wie z.B. das Christentum und der Buddhismus, unter die Aufsicht des Unterrichtsministeriums gestellt.12 Die traditionellen Norito wurden im Staats-Shintô vereinheitlicht.13 Generell wurden alle offiziellen Schreine des Staats-Shintô der staatlichen Schrein- und Tempelbehörde, welche ebenfalls dem Innenministerium zugeordnet war, unterstellt.14

Auch eine Trennung der Schreine von buddhistischen Tempeln und eine Ausgliederung buddhistischer Priester aus shintoistischen Priesterämtern wurde in diesem Rahmen durchgeführt. Während des oben erwähnten Shinbutsu-Shûgô waren viele buddhistische Einrichtungen mit shintoistischen verschmolzen. Auf Schreingelände waren Tempel errichtet worden und in Tempeln wurden Kami gleichgesetzt mit Bodhisattva verehrt. Es waren die gleichen Priester, welche buddhistische sowie shintoistische Feste zelebrierten. Mit der Reform des Shintô mussten sich die Priester nun entscheiden, ob sie dem geförderten Staats-Shintô oder einer buddhistischen Sekte dienen wollten. Tempel wurden vom Schreingelände entfernt und es wurde verboten, Kami in buddhistischen Tempeln zu verehren.15

In seiner von den anderen Religionen getrennten Position wurde der Staats-Shintô samt seiner Schreine nun verweltlicht. Das heißt, er wurde nicht mehr als Religion, sondern vielmehr als patriotischer Kult betrachtet. Dies sollte es allen Japaner_Innen unabhängig davon, welcher Religion sie sonst angehörten, ermöglichen, sich zum Staats-Shintô und somit zum Kaiserhaus zu bekennen.16 Es wird hierbei von einer Supra-Religion gesprochen, die sich durch ihre staatliche Institutionalisierung und Förderung von allen anderen vorhandenen Religionen abgrenzt und dennoch die mythischen Züge einer Religion trägt.17

Eine zentrale Position unter den Schreinen des Staats-Shintô nahmen der Yasukuni-Schrein in Tokio und der Ise-Schrein in der damals noch Ujiyamada genannten Stadt Ise ein. Der Yasukuni-Schrein war 1869 errichtet worden. In ihm sollten die seit 1868 für das Kaiserreich Japan gefallenen Soldaten als Kami verehrt werden.18 Im Ise-Schrein wurde Ama-terasu-oho-mi-kamí als Ahnherrin des Kaiserhauses verehrt. Laut der Chronik von Japan, dem Nihon-shoki, und dem Kojiki, welches übersetzt Aufzeichnung alter Geschehnisse heißt, kann der Stammbaum des Kaiserhauses von Japan auf den legendären Jimmu-Tennô zurückgeführt werden, der der japanischen Mythologie zufolge von 711 bis 585 v. Chr. gelebt haben soll.19 Jimmu-Tennô wiederum soll dem Shintô zufolge von der Sonnengöttin Ama-terasu-oho-mi-kamí abstammen, womit das Kaiserhaus durch seine göttliche Abstammung legitimiert wurde.20

Mit dem Kaiserlichen Reskript für Erziehung von 1890 wurde das Bildungssystem vereinheitlicht und an staats-shintoistische Ideale angepasst.21 Von Beginn der 1930er Jahre an wurde dies immer stärker genutzt, um das japanische Volk mit pädagogischen Mitteln schon von klein auf zu indoktrinieren, um die Verehrung des Tennô zu fördern und eine anti-demokratische Grundstimmung zu schaffen.22

3.3 Shôwa-Restauration, Kokutai und Kaisertreue

Unter dem Shôwa-Tennô Hirohito entstand ab 1926, gestützt durch eine aufkommende nationalistische Stimmung im Land, die Idee einer weiteren Restauration im Stile der Meiji-Restauration. Es war vor allem das Ziel japanischer Militärs sowie konservativer und nationalistischer Kräfte, eine durch den Tennô gestützte Militärdiktatur zu errichten und einen Expansionskrieg zu führen, in welchem anfangs vor allem das chinesische Festland okkupiert werden sollte. Um die aggressive Außenpolitik des Imperialen Japans zu rechtfertigen wurde von den Militärs auf das mittels des Shintô konstruierte heilige Recht Japans auf moralische und ökonomische Herrschaft in Ostasien verwiesen.23 Es wurde propagiert, dass Japan dieses Recht nutzen wolle, um die Daitôa-kyôei-ken (zu deutsch: Großostasiatische Wohlstandssphäre) zu erschaffen. In dieser sollte sich Ostasien unter Führung Japans von den westlichen Kolonialmächten befreien und geleitet durch den göttlichen Tennô Wohlstand und Frieden finden.24

Um diese Ziele zu erreichen, wurde die im Staats-Shintô angestrebte Verehrung des Kaisers weiter fokussiert und mit dem Konzept des Kokutai (auf deutsch: Nationalwesen), welches zu Beginn der Meiji-Restauration entstanden war, untermauert. Es sollten auf dem Shintoismus basierende, angeblich urjapanische Ideale und Strukturen hervorgehoben und die westlichen Einflüsse somit abgelöst werden.25 Dreh- und Angelpunkt des Kokutai war das von Shintoismus und Konfuzianismus gestützte Familienprinzip, welches das japanische Volk als eine große Familie mit dem Kaiserhaus als Hauptfamilie und dem restlichen japanischen Volk gegliedert in Zweigfamilien begriff.26 Zweigfamilien waren hierbei nicht nur Familien im biologisch-bürgerlichen Sinne. Auch innerhalb eines Unternehmens oder einer Organisation begriffen sich die Menschen als eine Familie. Innerhalb einer Familie nahm der Familienvater patriarchal die führende Rolle ein. Im kleinen war dies das Oberhaupt einer Zweigfamilie, also ein Familienvater im biologisch-bürgerlichen Sinn der Familie oder ein Unternehmer oder Vorsitzender einer Organisation. Auf staatlicher Ebene war es der Tennô als Oberhaupt des Kaiserhauses als Hauptfamilie und somit als Vater der japanischen Nation. Die japanische Familie war somit ähnlich dem nationalsozialistischen Führerprinzip organisiert.27

Wenn nun der Tennô, wie oben beschrieben, der Nachfahre von Ama-terasu-oho-mi-kamí und die Hauptfamilie somit von göttlicher Abstammung war, musste dies auf die Zweigfamilien, wenn auch in weniger reiner Form, ebenso zutreffen. Die Familie des japanischen Volkes wurde, ähnlich der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, durch ihren religiös begründeten Rassismus klar von Nicht-Japaner_Innen abgegrenzt.28

Innerhalb dieser, im Kokutai definierten, Familie gab es eine eindeutige Rollenverteilung. Das bushidô (auf deutsch: Weg des Kriegers), welches ehemals Kodex der, mit der Meiji-Restauration abgeschafften, Samurai war, wurde zum Ideal des Mannes umgedeutet. Diese Gleichsetzung des Idealbildes eines Mannes mit einem Krieger ähnelt jener, die Jungen und Männern im Nationalsozialismus schon von klein auf vermittelt wurde und die einer Militarisierung der Gesellschaft und damit der Kriegsvorbereitung diente.29

Dem Weg des Kriegers wurde ein Weg der Frau entgegengesetzt. Der Dienst gegenüber dem Familienvater, sowohl auf Ebene der Zweigfamilie als auch auf Ebene der Familie des japanischen Volkes, wurden als patriotische Pflicht gesehen. Anders als bei der Deutschen Mutter lag ihre Aufgabe jedoch nicht vordergründig in der Produktion von Soldaten. Vielmehr wurde die Arbeitskraft der Frauen an der Heimatfront benötigt, um die japanische Infrastruktur auch nach dem Beginn des Krieges aufrecht erhalten zu können.30

Der Tennô war bereits mit der Verfassung des Kaiserreichs Groß-Japan vom 11.02.1889, welche unter Meiji-Tennô verabschiedet wurde und entsprechend auch Meiji-Verfassung genannt wurde, als „heilig und unantastbar“ deklariert worden. Die Loyalität gegenüber dem Tennô wurde im Laufe der Shôwa-Restauration nun mit Patriotismus gleichgesetzt. Es wird vom Prinzip des chûkun-aikoku gesprochen, welches mit Loyalität-Patriotismus übersetzt wird. Fortan war es unpatriotisch, am Tennô zu zweifeln und Patriotismus wurde mit der Heiligen Pflicht gegenüber dem Tennô und somit auch gegenüber dem Shintô gleichgesetzt. Der Tennô wurde als Stimme des kollektiven Gewissens und Bewusstseins des japanischen Volkes betrachtet31.

Die sogenannte Meiji-Verfassung war an die Preussische Verfassung von 1850 angelehnt und es existierte eine Gewaltenteilung nach westlichem Vorbild32. Der Kaiserliche Premierminister mit einem Kabinett aus Ministern bildete die Exekutive. Die Legislative bestand aus einem Parlament, welches das Recht eines Vetos gegenüber der Regierung hatte und das sich aus einem gewählten Abgeordnetenhaus und einem Oberhaus zusammensetzte. Im Oberhaus war der dem Tennô ergebene Adelsstand vertreten. In der Judikative wirkten vom Tennô ernannte, aber als unabhängig deklarierte, Richter.33

Bei genauerem Hinsehen wird hier jedoch deutlich, dass der Tennô über seinen Premierminister, das Oberhaus und die von ihm ernannten Richter entscheidenden Einfluss auf alle drei Säulen der staatlichen Gewaltenteilung ausüben konnte. Über das chûkun-aikoku, ihre patriotische Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem Tennô, waren ihm nun auch alle anderen Teilnehmer des politischen Lebens ergeben.34

So geschah Rechtsprechung faktisch in seinem Namen, die Streitkräfte unterstanden der Verfassung nach allein seinem Befehl, die Gesetze wurden durch ihn mit Zustimmung des Parlaments erlassen und die Regierung war nicht dem Parlament, sondern nur dem Tennô gegenüber Rechenschaft schuldig35. Der Shintô diente den japanischen Eliten „als spirituelle Grundlage und weltlicher Kontroll- und Verwaltungsapparat“36.

Mit der am 12.10.1940 gegründeten Taisei yokusan-kai (auf deutsch: Vereinigung zur Unterstützung der Kaiserherrschaft) sollte das Parlament endgültig auf den Tennô fokussiert werden. Sie war eine direkt dem Premierminister unterstellte Fraktion, die in ihrer Organisation an der NSDAP orientiert war und in der alle im Parlament vertretenen Parteien aufgingen. Es war das Ende der Parteienpolitik, wie sie sich zuvor in Japan etabliert hatte.37

Mit der schrittweisen Übernahme der politischen Macht ging anhand neuer Gesetze und Kampagnen Stück für Stück ein Ausschalten aller oppositionellen Kräfte einher. So wurde mittels des Pressegesetzes ein mächtiges Instrument zur Zensur und Bekämpfung aller unliebsamen Ideen geschaffen. Es führte Tatbestände wie die Verbreitung kommunistischer Ideen, die Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und die Schmähung der Würde des Kaiserhauses auf. Solche Kriterien wurden nicht nur eingesetzt, um pazifistische, liberale, kommunistische und antidiktatorische Publikationen zu unterdrücken, sondern immer stärker auch, um Gruppierungen, welche nicht in das Konzept des Kokutai passten, zu verbieten und zu verfolgen.38

In diesem Sinne wurden buddhistische und shintoistische Sekten verfolgt, welche die Trennung von Shintô und Buddhismus nicht komplett vollzogen hatten oder die Legitimität des Staats-Shintô nicht anerkannten. Bekannte Beispiele hierfür sind die Sekte des Nichiren Buddhismus und die Shintô-Sekte Ômoto-kyô. Die Verwendung von Ama-terasu-oho-mi-kamí und Hachiman im Mandala der Nichiren-Sekte wurde genauso als Schmähung der Würde des Kaiserhauses betrachtet, wie die Leugnung der heiligen Abstammung des Tennô durch die Ômoto-kyô.39

Mit dem Beginn des Pazifikkrieges gerieten auch die verschiedenen christlichen Kirchen in das Visier der Regierung und ihrer Behörden. Grund hierfür war der westliche Ursprung der christlichen Religion, womit sie bereits den Idealen des Kokutai widersprach. Über das Konzept des chûkun-aikoku wurden sie als unpatriotisch und illoyal gegenüber dem Tennô unterdrückt und verfolgt. Dem entgingen nur jene Kirchen, die explizit Wert darauf legten, ihre Lehren in Harmonie mit dem Staats-Shintô zu bringen und somit ihre Treue zum Tennô bewiesen.40

4 Fazit

Soll untersucht werden, wie der Staats-Shintô die Gleichschaltung der japanischen Gesellschaft im Imperialen Japan der 30er- und 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts beeinflusste, muss zuerst einmal darauf hingewiesen werden, dass es sich beim Begriff der Gleichschaltung um die Bezeichnung eines spezifischen Prozesses im nationalsozialistischen Deutschen Reich handelt. Es ist daher schwierig diesen Begriff auf ein Phänomen im Imperialen Japan zu übertragen.

Dennoch wurden im Rahmen der Arbeit Prozesse betrachtet, welche denen der Gleichschaltung im Deutschen Reich sehr ähnlich sind und welche tatsächlich mit der Hilfe des Staats-Shintô abliefen oder durch diesen induziert wurden. Am stärksten fällt hierbei das Familienprinzip ins Auge. Das japanische Volk als geschlossene Familie zu betrachten, dem ein Mensch von Geburt an angehört und aus der er bei Nonkonformität ausgeschlossen werden kann, kommt dem Prinzip der Volksgemeinschaft mit ihren Mechanismen sehr nahe.

Auch die Ausrichtung der Japanischen Familie und ihrer Zweigfamilien auf einen Familienvater zeigt eine ähnliche Funktion, wie das Führerprinzip des Nationalsozialismus. So wie dort die Angehörigen einer Gruppe oder Organisationsstruktur zum unbedingten Gehorsam gegenüber einem Führer angehalten sind, wird von dem japanischen Volk ein unbedingter Gehorsam gegenüber einer Vaterfigur erwartet. Diese kann der tatsächliche bürgerliche Vater, ein Vorsitzender im Verein, der Chef im Betrieb und an oberster Stelle der Tennô sein. Hierbei sei auch noch einmal die Gleichsetzung von Loyalität gegenüber dem Tennô als Vater der Japanischen Familie mit Patriotismus hervorgehoben. Es wurde beschrieben, dass die Japanischen Inseln im Shintô als heilige Orte angesehen werden, und dass sich hieraus ein Patriotismus bei den Anhängern des Shintô ergibt. Wichtig ist an diesem Punkt auch die Betrachtung des Tennô als Verkörperung eines kollektiven Gewissens und Bewusstseins des japanischen Volkes, dem in diesem Zusammenhang jedes Mitglied der Japanischen Familie zu folgen hat. Diese kommt dem nationalsozialistischen Volkswillen recht nahe, in dem jedem Mitglied des Volkes oder der Familie unterstellt wird, die Handlungen der Regierung als den eigenen Willen anzuerkennen.

Die besondere Stellung des Tennô diente auch zur Ausschaltung der oppositionellen Kräfte. Es sei an dieser Stelle beispielhaft an den Tatbestand der Schmähung der Würde des Kaiserhauses im Pressegesetz erinnert, und dass ähnliche Begründungen auch gegen andere Gegner der Militärdiktatur angewandt wurden. Da in den Augen der Regierung eine Ablehnung der Politik gleichbedeutend war mit einer Kritik am heiligen Tennô, war eine legale Opposition quasi nicht mehr möglich.

Als Letztes sei noch die Indoktrination der Jugend sowie die Anforderung an Männer, Krieger zu sein, und jene an Frauen, an der Heimatfront zu dienen, erwähnt. Auch dies sind Prozesse, die ihre Verwandtschaft in Prozessen innerhalb der nationalsozialistischen Gleichschaltung haben. Unabhängig davon, ob die Indoktrination der Jugend durch ein Kaiserliches Reskript für Erziehung oder eine einheitliche Jugendorganisation erfolgte, war das Ziel in beiden Fällen die Vorbereitung der Jugend auf den Krieg und die Bildung einer Bindung der Menschen an die Führung der Diktatur.

Bei all den aufgeführten Punkten spielt der durch den Staats-Shintô verliehene heilige Status des Tennô und des Kaiserhauses eine wichtige Rolle. So wird das Familienprinzip und die Position des Tennô auf dessen heilige Abstammung von Ama-terasu-oho-mi-kamí zurückgeführt, der Patriotismus durch den heiligen Charakter der Japanischen Inseln stimuliert und das Kokutai auf alte shintoistische Werte zurückgeführt.

Abschließend lässt sich festhalten, dass es sicherlich kompliziert ist, einen ideologisch getränkten Begriff wie Gleichschaltung zu übertragen, dennoch gab es im Imperialen Japan der 30er- und 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts Prozesse, die denen der Gleichschaltung sehr ähnlich waren. Und diese Prozesse sind ganz offensichtlich durch die Verwendung des Staats-Shintô geprägt und teilweise auch durch diesen initiiert worden.

Fußnoten und Literatur

1 In dieser Seminararbeit wird mithilfe des Gender Gap und des Binnen-I gegendert, da das generische Maskulinum allzu schnell vergessen lässt, dass Menschen nicht nur männlich sondern unterschiedlichsten sozialen und/oder biologischen Geschlechts sein können. Zitate, Eigennamen von Organisationen und Angehörige ausschließlich männlicher Gruppierungen, wie z.B. die shintoistischen und buddhistischen Priester, bleiben hiervon unberührt.

2 BROOKER, PAUL (1991): The Faces of Fraternalism – Nazi Germany, Fascist Italy, and Imperial Japan. Oxford, S. 88 ff.

3 Ebenda, S. 129 ff.

4 Ebenda, S. 131 f.

5 Der Begriff des Volkes wird als künstliches Konstrukt angenommen und hier entsprechend ebenfalls kursiv gesetzt.

6 BROOKER, S. 88 ff.

7 Ebenda, S. 208.

8 STORM, RACHEL (2000): Die Enzyklopädie der östlichen Mythologie – Legenden des Ostens – Mythen und Sagen der Helden, Götter und Krieger aus dem alten Ägypten, Arabien, Persien, Indien, Tibet, China und Japan. Reichelsheim, S. 196 „Hachiman“ & 204 „Kami“ und LOKOWANDT 1978, S. 44 f.

9 Ebenda, S. 204 „Kami“.

10 LOKOWANDT, ERNST (1981): Zum Verhältnis von Staat und Shintô im heutigen Japan – Eine Materialsammlung. Wiesbaden, S.24 f.

11 LOKOWANDT, ERNST (1978): Die rechtliche Entwicklung des Staats-Shintô in der ersten Hälfte der Meiji-Zeit (1868-1890). Wiesbaden, S. 3 ff.

12 MEISSNER, KURT (1939): Der Shintoismus als Quelle des japanischen Volkscharakters und Nationalgeistes. – In: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Reprint 1965, Band 28, Teil I, S. 1 f.

13 BROOKER, S. 208.

14 MEISSNER, S. 2.

15 LOKOWANDT 1978, S. 13 ff.

16 MEISSNER, S. 2.

17 ANTONI, KLAUS (1991): Momotarô (The Peach Boy) and the Spirit of Japan – Concerning the Function of a Fairy Tale in Japanese Nationalism of the Early Shôwa Age. – In: Asian Folklore Studies, Vol. 50, No. 1, S. 155-188, S. 157.

18 BROOKER, S. 210.

19 LOKOWANDT 1981, S. 3.

20 ANTONI, KLAUS (Hrsg.) (2012): Kojiki – Aufzeichnung alter Begebenheiten. Berlin, S. 77 bis 93.

21 BROOKER, S. 207.

22 KREINER, JOSEF (2012): Geschichte Japans. Zweite Auflage, Stuttgart, S. 383.

23 BROOKER, S. 214.

24 KREINER, S. 408.

25 Ebenda, S. 383.

26 LOKOWANDT 1981, S. 5.

27 BROOKER, S. 213.

28 Ebenda, S. 213.

29 Ebenda, S. 214.

30 Ebenda, S. 214.

31 Ebenda, S. 215 f.

32 MIYAZAKI, SHIGEKI (1987): Die Verfassung Japans und ihr Verhältnis zum Völkerrecht. – In: Archiv des Völkerrechts, Bd. 25, Heft 1, S. 1-23, S. 1.

33 BROOKER, S. 216.

34 Ebenda, S. 216.

35 LOKOWANDT 1981, S. 4.

36 KREINER, S. 382 f.

37 Ebenda, S. 406.

38 Ebenda, S. 394.

39 BROOKER, S. 244 f.

40 Ebenda, S. 246 f.

Weitere Literatur

CAMPBELL, JOSEPH (1991): Die Maske Gottes Teil 2 – Mythologie des Ostens. Basel.

FLORENZ, Dr. KARL (1903): Nihongi – Japanische Annalen von Suiko-tennô bis Jitô-tennô. Zweite Auflage, Tokyo.

NAUMANN, NELLY (1996): Die Mythen des alten Japan – übers. und erl. von Nelly Naumann. München.

TEEUWEN, MARK und RAMBELLI, FABIO (2003): Buddhas and kami in Japan – honji suijaku as a combinatory paradigm. London.

Download:
Wolfstatze, Meas: Wie beeinflusste der Staats-Shintô die »Gleichschaltung« der japanischen Gesellschaft im Imperialen Japan der 30er- und 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts?; Berlin 2013.

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