Welche Rolle hatte die Stadt für die Frente Sandinista de Liberación Nacional in der Nikaraguanischen Revolution?

Art des Textes: Seminararbeit
Seminar: Lateinamerikanische Städte als »Motoren« des Wandels?
Modul: Regionale Perspektiven der Geschichte
Dozentin: Prof. Dr. Debora Gerstenberger

Gliederung

1 Einleitung

2 Sandinistische Revolution in Nikaragua

2.1 Ausgangspunkt

2.2 Revolutionäre Bewegung auf dem Land

2.3 Revolutionäre Bewegung in der Stadt

3 Fazit

Fußnoten und Literatur

 

1 Einleitung

Die Frente Sandinista de Liberación Nacional (kurz: FSLN; zu deutsch: Sandinistische Front der Nationalen Befreiung) wurde am 23. Juli 1961 gegründet und agierte bis zum Sieg der Sandinistischen Revolution am 19. Juli 1979 auf dem Land und in den Städten Nikaraguas. In den Städten agierte sie in der Student_Innenbewegung1, im Proletariat und als Stadtguerilla. Auf dem Land wurde die Zusammenarbeit mit der Landbevölkerung gefördert und der Aufbau einer Volksarmee für den Guerillakrieg anvisiert. Das Wirken der FSLN lässt sich schwerlich nur als Guerilla, sei es nun als Stadt- oder als Landguerilla, erfassen. Dadurch würde die Rolle der Frente Estudiantil Revolucionario (kurz: FER; zu deutsch: Revolutionäre Studentenfront), die der Arbeiter_Innenbewegung und die des kirchlichen Widerstands unterschlagen, welche ihre Zusammenarbeit mit der FSLN gerade in der Spätphase der Widerstandsbewegung gegen die Diktatur des Somoza-Clans intensivierten.

Es erscheint also sinnvoll, in dieser Arbeit die Widerstandsbewegung in der Stadt als Ganzes zu betrachten und mit der auf dem Land gegenüber zustellen, um somit zu ermitteln, welche Rolle die Stadt für die Sandinistische Revolution in Nikaragua hatte. Hierzu wird zuerst ein kurzer Überblick über die politische Lage im Nikaragua zur Zeit der Somoza-Diktatur gegeben und anschließend die Widerstandsbewegung auf dem Land und in der Stadt geschildert, um daraus Schlüsse über die Bedeutung der politischen und revolutionären Arbeit in den Städten zu ziehen.

2 Sandinistische Revolution in Nikaragua

2.1 Ausgangspunkt

Im Januar 1933 mussten die USA ihre Besatzungstruppen aus Nikaragua abziehen. Dies war durch den militärischen Druck des Ejército Defensor de la Soberanía Nacional de Nicaragua (kurz: EDSNN; zu deutsch: Verteidigungsheer der Nationalen Souveränität Nikaraguas) unter Augusto César Sandino möglich geworden und hatte einen Friedensvertrag des EDSNN mit der nikaraguanischen Regierung zur Folge, welche mit den Besatzer_Innen kollaboriert hatte. Nach diesem Erfolg gab die EDSNN ihren bewaffneten Widerstand auf und ging zu zivilen Formen des Protestes über. Am 21.02.1934 wurde Sandino von Mitgliedern der Guardia Nacional de Nicaragua (kurz: GN oder Guardia; zu deutsch: Nationalgarde Nikaraguas) unter der Führung von Anastasio Somoza García ermordet. Es war der Beginn des Aufstiegs des Somoza-Clans zur politischen Macht in Nikaragua. Der Staatspräsident Juan Bautista Sacasa verlor immer mehr Macht und Einfluss an Somoza und seine Nationalgarde. Dies führte 1936 zur Außerkraftsetzung der Verfassung und am Anfang des Jahres 1937 zum Staatsstreich gegen Sacasa und zur Wahl von Somoza García in das Amt des Staatspräsidenten.2

Als wichtigstes Machtinstrument diente dem Somoza-Clan die Nationalgarde. Sie hatte militärische sowie polizeiliche und juristische Aufgaben inne und besaß wichtige Posten im Postwesen, bei den Massenkommunikationsmitteln, in der Ein- und Auswanderungsbehörde und in anderen bedeutenden Institutionen des öffentlichen Lebens. In ihrer militärischen Funktion war sie bis 1978 ca. 7000 Personen stark und untergliederte sich in die Bereiche Heer (5400 Personen), Luftwaffe (1500 Personen), Marine (200 Personen) und in Antiguerillaeinheiten, die engen Kontakt zu Todesschwadronen außerhalb der Nationalgarde pflegten. Gerade Letztere sollten in der Antidiktaturbewegung ein andauerndes Klima der Angst schaffen, um diese somit klein zu halten.3

Die Treue der Guardia zu Somoza resultierte aus zwei Faktoren. Zum Einen war er einer der Ihren. Somoza García hatte in der Guardia gedient und war in ihr groß geworden. Zum Anderen sicherte er der Nationalgarde verschiedene Sonderrechte. So wurde zum Beispiel die Korruption innerhalb der Guardia nicht verfolgt und ihre Kader konnten das Recht relativ großzügig beugen. Hinzu kam die geschickte Ausnutzung geringer Kenntnisse der spanischen Sprache der Bevölkerung in der Atlantikregion sowie deren historische Feindschaft gegenüber den Menschen in der Pazifikregion bei der Rekrutierung neuer Soldat_Innen.4

Die Nationalgarde wurde mit Waffen aus den USA versorgt und ihre Führungskader erhielten ihre Ausbildung an US-Amerikanischen Militärakademien. Sie beherrschte zusammen mit dem Staatspräsidenten Judikative, Exekutive und Legislative, sodass eine Gewaltenteilung faktisch nicht mehr existierte.5

Am 21.09.1956 fiel Anastasio Somoza García einem Attentat durch militante Antidiktaturkräfte zum Opfer. Seine Söhne Luis Somoza Deblay und Anastasio Somoza Deblay übernahmen die Macht. Luis übernahm das Amt des Staatspräsidenten und Anastasio trat die Führung der Nationalgarde an. Nach dem Tod von Luis Somoza Deblay im Jahr 1963 bündelte sich die Macht in den Händen seines Bruders, der diese bis zum Ende der Somoza-Diktatur 1979 innehaben sollte.6 Die Partido Liberal Nacionalista (kurz: PLN; zu deutsch: Liberale Partei Nikaraguas) diente dem Somoza-Clan als demokratische Fassade. Einzige legale Oppositionspartei war die Konservative Partei.7

2.2 Revolutionäre Bewegung auf dem Land

Auf dem Land existierten zwei Hauptsäulen des Widerstandes. Zum einen die Landguerilla der FSLN und zum anderen die Kleinst- und Kleinbäuer_Innen, welche sich mit Hungermärschen und Landbesetzungen zur Wehr setzten und später Anschluss an die FSLN fanden. Beide sollen im Folgenden beleuchtet werden.

In seiner Autobiografie schrieb Omar Cabezas, der ab 1969 als Sandinist in der FER aktiv war und später Politiker im revolutionären Nikaragua wurde: »Und in der Stadt sprachen wir, die Legalen und die im Untergrund, von den Bergen als etwas Mythischem, wo die Kraft liegt und sogar die Waffen, das unsinkbare Schiff, damit man nicht im tiefen Wasser der Diktatur untergeht, die Entschlossenheit, nicht aufzugeben; die Sicherheit, daß es nicht so bleiben kann, daß Somoza nicht sein ganzes Leben lang weiter befehlen kann, daß man die Unbesiegbarkeit der Guardia nicht akzeptieren muß.«8 Dies macht bewusst, wie sehr die Hoffnung der FSLN auf der Landguerilla und dem Volkskrieg gegen die Nationalgarde lag. Bereits die erste Etappe der Entwicklung der FSLN von 1961 bis 1963 war von der Bestrebung, die Somoza-Diktatur militärisch zu schlagen, geprägt. Hierzu wurden Ausbildungslager errichtet, in denen vor allem militärische Qualitäten gefördert wurden. Die FSLN war allerdings noch nicht genügend in der Bevölkerung verankert und es folgten erste Niederlagen.9

Als Folge hieraus wurden in der zweiten Etappe, welche die Zeit von 1963 bis 1966 bezeichnet, nicht nur die Arbeit in den Städten und die der 1962 begründeten Student_Innenorganisation FER intensiviert, sondern auch das Zusammenwirken mit der Landbevölkerung ausgebaut. Hieraus bildeten sich ländliche Zellen, welche die politische Arbeit mit dem bäuerlichen Widerstand verstärkten und den Bäuer_Innen bewaffneten Schutz vor Übergriffen der Nationalgarde boten.10 Als Basis dienten der Landguerilla der FSLN vor allem die dicht bewaldeten Berge in Zentralnikaragua11, welche nach Ernesto Guevara aufgrund ihrer Unwegsamkeit für den Guerillakrieg besonders günstiges Gelände bieten. Die Beweglichkeit einer regulären Armee war somit stark eingeschränkt. Dies ermöglichte in besonderem Maße die Anwendung von Guerillataktiken und bot Schutz für die Lager der Guerilla. So war eine Entfaltung der Guerillatätigkeiten und der Aufbau von eigenen kleinen »Industrieanlagen, Lazaretten, Schulungs- und Ausbildungszentren, Materiallagern, Funkstationen und anderem« möglich.12 Auch Omar Cabezas beschrieb in seiner Autobiografie das Leben in den Lagern in den Bergen. So dienten sie den Sandinisten nicht nur als Rückzugsort zwischen verschiedenen Guerillaaktionen, sondern auch für die Ausbildung neuer Guerillas im bewaffneten Kampf und als Versteck für Genoss_Innen, welche Schutz in der Illegalität suchen mussten.13 Seit 1967 verbargen sich mit Carlos Fonseca und Tomás Borge auch wichtige Kader der FSLN in diesen Lagern in den Bergen.14

1965 organisierten die FSLN und die Sozialistische Partei Nikaraguas (kurz: PSN) die 1. Nationale Bauernkonferenz und schufen damit die Grundlage für die Gründung erster ländlicher Gewerkschaftszellen. Anfangs fiel der Kontakt zwischen den – meist aus Städten stammenden – Kadern der Sandinist_Innen und der Landbevölkerung noch schwer, da Losungen und Programme im Antidiktaturkampf nicht verständlich vermittelt werden konnten und eine Vertrautheit mit den bäuerlichen Lebensgewohnheiten und Denkweisen sowie mit deren tatsächlichen Problemen fehlte. In der vierten und fünften Etappe von 1968 bis 1977 gelang es jedoch, die Zusammenarbeit massiv zu verstärken. Es wurde Erntehilfe geleistet, Schutz vor der Nationalgarde organisiert, politische Schulungen abgehalten und Hilfe zur Alphabetisierung gegeben.15 In der fünften Etappe der Entwicklung der FSLN, beginnend im Jahr 1974 bildeten sich in der FSLN drei Tendenzen heraus. Die Proletarische Tendenz richtete sich an die Arbeiter_Innenklasse in den Städten. Der Langandauernde Volkskrieg wandte sich vor allem an die ländliche Bevölkerung und trug hauptsächlich die Züge einer Landguerilla. Als Dritte Tendenz wurde eine Richtung bezeichnet, die ein Bündnis aus Arbeiter_Innen, Bäuer_Innen und Student_Innen anstrebte.16

Ab dem vierten Quartal des Jahres 1977 schlossen sich die drei Richtungen der FSLN zusammen und organisierten den Kampf um die Einheit der Antidiktaturkräfte unter der Führung der FSLN.17 Es folgte eine Intensivierung der Angriffe gegen Einrichtungen der Diktatur, die zu einem offenen Volkskrieg gegen Somoza und die Nationalgarde führten und durch Streiks der Gewerkschaften unterstützt wurden.18

In der letzten Phase des Revolutionären Krieges in Nikaragua griffen die Sandinist_Innen die Machtzentren der Somoza-Diktatur in den verschiedenen Städten an. Mit der Übernahme der Hauptstadt Managua durch die FSLN endeten die Kampfhandlungen am 19.07.1979.19

2.3 Revolutionäre Bewegung in der Stadt

Nach den militärischen Niederlagen in der ersten Etappe der Entwicklung der FSLN wurde der Schwerpunkt der Arbeit der FSLN zunächst auf die Städte verlagert. Um eine massenpolitische Arbeit zu ermöglichen, wurden zum Einen in den Arbeiter_Innenvierteln Managuas Komitees gegründet, später folgten auch andere Städte.20 Zum Anderen wurde die studentische Organisation der FER gestärkt.21 Dies waren zwei Aspekte des städtischen Widerstandes, die mit typischen Stadtguerillaaktionen einher gingen und sich immer wieder miteinander verwoben. Das geht besonders klar aus der Autobiografie von Omar Cabezas hervor. In dieser beschrieb er auch seine Arbeit für die FER, den Aufbau von Arbeiter_Innenkomitees in León und Widerstandsformen, wie sie der brasilianische Revolutionär und Stadtguerillero Carlos Marighella in seinem »Minihandbuch der Stadtguerilleros« als typische Stadtguerillataktiken schildert.22

Es ist sicherlich sinnvoll, auf diese unterschiedlichen Aspekte der politischen Arbeit in der Stadt dennoch jeweils für sich einzugehen. Zunächst wird sich diese Seminararbeit hierbei mit dem studentischen Widerstand der FER beschäftigen. Grundlage hierfür sind die Schilderungen von Omar Cabezas über seine politische Arbeit in der Universität von León, wo er auch der FER beitrat. Die FER war die 1962 gegründete Student_Innenorganisation der FSLN und steht, wie weiter oben bereits erwähnt, für Frente Estudiantil Revolucionario, was sich auf deutsch mit Revolutionäre Studentenfront übersetzen lässt. Omar trat der FER 1969 bei und war anfangs Teil einer recht kleinen Zelle. In León waren die Strukturen der FSLN und der FER noch nicht etabliert. Sie befanden sich gerade erst im Aufbau.23 1970 gelang der FER an der Universität zu León der Sieg für die Wahl des Präsidenten der Student_Innenorganisation Centro Universitario Unido Nicaragüense (kurz: CUUN). Dies ermöglichte der FER die Nutzung der öffentlichen und legalen Strukturen der Universität und die Gestaltung der studentischen Selbstverwaltung.24 Über Student_Innenproteste wurden zunehmend mehr Student_Innen für die FER gewonnen, die sich in Studienzirkeln und in Gruppen der FER zusammen fanden. 25Aus diesen Gruppen wurden später Zellen der FSLN, die aktiv am Kampf gegen die Somoza-Diktatur mitwirkten.26

Auch die politische Arbeit abseits der Universität in dem Arbeiter_Innenviertel Subtiava beschrieb Omar Cabezas in seinem Buch. So organisierte er dort erste Arbeiter_Innen- und Nachbarschaftskomitees, in denen Arbeiter_Innen vor allem aus der indigenen Bevölkerung für die Sandinist_Innen rekrutiert und politisch geschult wurden. In den Komitees bildeten sich Kader heraus, die im Namen der FSLN Stadtteilbewegungen gründeten und von dort in die Gewerkschaften eindrangen.27 Trotz relativ geringer Signifikanz des Industrieproletariats gegenüber dem Landproletariat spielten die Gewerkschaften auch in den Städten eine nicht unbedeutende Rolle.28 Die Gewerkschaftsbewegung Nikaraguas war zu dieser Zeit gespalten. Zum Einen gab es die Allgemeine Zentrale der Werktätigen (kurz: CGT) als Instrument der Somoza-Diktatur und den Rat der Gewerkschaftsvereinigung (kurz: CUS), welcher von Unternehmer_Innen kontrolliert wurde und die Stabilität des Gesellschaftssystems stützen sollte. Auf der anderen Seite sind die Allgemeine Zentrale der Werktätigen – unabhängig (kurz: CGT-i), die Arbeiterzentrale Nikaraguas (kurz: CTN) und die Aktionszentrale der Gewerkschaftseinheit (kurz: CAUS) zu nennen. Die CGT-i war hauptsächlich von der Sozialistischen Partei Nikaraguas (kurz: PSN) kontrolliert und brachte wie diese wichtige spätere Kader der FSLN hervor. Die CTN war von den Christdemokrat_Innen 1962 als Autonome Gewerkschaftsbewegung Nikaraguas gegründet und 1972 in Arbeiterzentrale Nikaraguas umbenannt worden. Zudem war die CAUS als linksradikale Gewerkschaftszentrale entstanden.29

Mitte der 70er-Jahre erkannten die Gewerkschaften, dass ihre Stärke vor allem im gemeinsamen Handeln über ideologische und politische Differenzen hinweg bestand.30 In diesem Rahmen konnte nun auch die FSLN ihren Einfluss auf die Gewerkschaftsbewegungen der Städte ausbauen und schuf ein Bündnis aus Gewerkschaftszentralen, aus welchem später die Sandinistische Gewerkschaftszentrale (kurz: CST) hervorgehen sollte.31 Erst mit dieser Bündelung der Gewerkschaften konnte die Arbeiter_Innenbewegung effektiv politisiert und organisiert werden.32

Bis auf die CGT und die CUS, die mehr oder weniger die Aufgabe hatten, die Arbeiter_Innenschaft ruhig zu halten, brachten sich alle Gewerkschaften aktiv und kämpferisch in der Antidiktaturbewegung und in den Kampf um die Arbeiter_Innenrechte ein. Wichtigstes Mittel der Gewerkschaften war hierbei der Streik. So konnten sie in gemeinsamen Aktionen Lohnerhöhungen und andere Interessen der Arbeiter_Innen durchsetzen und politisierten hiermit zugleich weitere Arbeiter_Innen.33

Während der Endoffensive des Volkskrieges gegen die Somoza-Diktatur im Jahr 1979 unterstützten die Gewerkschaften zudem geschlossen die FSLN, indem sie mit einem Generalstreik wichtige Teile der Infrastruktur des Landes lahm legten. Dies behinderte die Versorgungslogistik der Nationalgarde. Diese musste Truppen von der Front abziehen, um ihre eigene Versorgung sicherzustellen. Somit leisteten auch die städtischen Arbeiter_Innen, welche nicht unter Waffen standen, einen wichtigen Beitrag zum Sieg der FSLN. Die bereits beschriebenen Stadtteilkomitees sicherten dagegen die Versorgung der Zivilbevölkerung an der stillgelegten staatlichen Infrastruktur vorbei.34

In seiner Autobiografie hebt Omar Cabezas zudem deutlich die Rolle von geplanten Demonstrationen und spontanen Versammlungen für die Politisierung der Massen hervor. Es werden erste von der FER initiierte Demonstrationen der Student_Innen beschrieben und wie diese öffentliches Interesse erlangten.35 Er hebt die ersten Demonstrationen in León hervor, die von den Arbeiter_Innen und der allgemeinen Bevölkerung mitgetragen wurden.36 Und er beschrieb ausführlich die Wirkung von nächtlichen Feuern an den Straßenecken als Versammlungspunkte: »Die Feuer waren die Feinde der Guardia. Die Guardia haßte die Feuer, denn die Feuer brachten die Leute zusammen. Das Feuer ruft zusammen, integriert und vereinigt, als gäbe das Feuer dir Mut, als fühltest du dich durch das Feuer geschützt und stärker. Als würden dir die Flammen Gesellschaft leisten.«37 Waren diese Feuer anfangs noch von der FER und den sandinistischen Stadtteilkomitees organisiert, erhielten sie mit der Zeit immer mehr Unterstützung durch die Anwohner_Innen, welche Brennmaterial beisteuerten. Außerdem entstanden sie immer häufiger spontan und an immer mehr Straßenecken in León und zogen mehr und mehr Menschen an, bis sie zum Massenanziehungspunkt wurden.38

Gleich zu Beginn seines Minihandbuchs des Stadtguerilleros schrieb Carlos Marighella: »Der revolutionäre Krieg äußert sich in der Stadtguerilla, im psychologischen Krieg und in der Landguerilla. Stütze der Stadtguerilla und des psychologischen Krieges in der Stadt ist der Stadtguerillero. […] [S]ein Ziel ist es, die Landguerilla zu unterstützen und beim Aufbau einer neuen gesellschaftlichen Struktur im Land mitzuhelfen, an deren Spitze das bewaffnete Volk steht.«39 Weiterhin geht er auf die Organisationsstruktur einer Stadtguerilla und ihre wichtigsten Aktionsformen ein. Bei einem Vergleich zu den Aufzeichnungen von Omar Cabezas fallen hier gleich mehrere Ähnlichkeiten auf. Die Struktur der Organisation in den Städten beschrieb er als kleine Zellen, wobei keiner dieser Zellen Informationen über die ganze Organisation vorlagen. Koordiniert wurden diese Zellen von der FSLN-Führung aus den Bergen.40 Marighella spricht hierbei von Feuergruppen mit einer Stärke von 4 bis 5 Männern, welche Weisungen von einem »strategischen Kommando« erhalten.41

Neben der Arbeit in der FER und für den Aufbau von Stadtteilbewegungen, hatte die Zelle von Omar in León Aufgaben wie das Beschaffen von Häusern und Fahrzeugen. Die Fahrzeuge dienten der Mobilität der FSLN. In den Häusern wurden Versammlungen abgehalten, Genoss_Innen, welche sich in der Illegalität befanden, versteckt sowie Material und Waffen gelagert. Zudem dienten sie dazu, anonym miteinander korrespondieren zu können. Weiterhin hatten sie die Häuser der Angehörigen der Nationalgarde auszuspähen und sammelten Informationen über Spitzel der Diktatur.42 Mit Häusern und Fahrzeugen wird die Logistik einer Stadtguerilla gestützt.43 Die Informationsbesorgung diente der Vorbereitung von Aktionen einer Stadtguerilla sowie deren Schutz vor Unterwanderung durch Agent_Innen der Reaktion.44 Auch der Aspekt des bewaffneten Widerstandes der Stadtguerilla wurde von Cabezas festgehalten. So beschrieb er den letzten Kampf des Julio Buitrago, welcher sich bis zu seinem Tod bewaffnet in einem Haus verschanzt hatte und gegen die Nationalgarde zur Wehr setzte.45 Des Weiteren beschrieb er, dass der Enteignungskampf eine wichtige Rolle für die FER spielte. Vor allem vor dem Wahlsieg der FER zur Führung der CUUN in León, die ihr die Möglichkeit gab, die Mittel der Universität zu verwenden, war dieser für die Zelle um Cabezas von großer Bedeutung.46 So musste Material für die Propaganda und für politische Schulungen in der Universität gestohlen werden. In Supermärkten wurden Lebensmittel enteignet.47

Dies alles war, um es mit den Worten aus dem obigen Zitat von Marighella zu benennen, Teil des psychologischen Krieges, welcher die Bevölkerung für die FSLN polarisieren und die Guardia zermürben und in den Städten binden sollte. So geht Omar Cabezas auch auf die direkten Folgen der verschiedenen Aktionen der Stadtguerilla der FSLN ein. Er schrieb, wie die Graffiti in den Straßen und die Radiomeldungen über gegen die Diktatur gerichtete Hinrichtungen und Überfälle, Gespräche in der Bevölkerung schürten. Dies führte dazu, dass die Massen, trotz der ablehnenden Haltung der bürgerlichen Parteien, im Antidiktaturkampf bestärkt und der Zusammenhalt und das Selbstbewusstsein innerhalb der FSLN und der FER gefördert wurden.48

Auf seine eigene Zeit in der Illegalität des Untergrunds im Jahre 1970 geht Cabezas dagegen nicht genauer ein. Er beschränkt sich darauf zu erwähnen, dass er bewaffnet und konspirativ lebte und andere Aufgaben übernahm. Und er beschrieb einen Trick, mit welchem er aus der Illegalität zurückgeholt wurde, da er in der FER dringender benötigt wurde, als im Untergrund.49 Quellen oder Literatur über die direkte Arbeit der FSLN im Untergrund liegen somit nicht vor. Es muss sich mit der Erkenntnis begnügt werden, dass die Direkten Aktionen der Stadtguerilla anscheinend dazu beitrugen, die Rolle der FSLN in der Bevölkerung zu stärken und die Logistik für die massenpolitische Arbeit sicherzustellen.

Während der Endoffensive der Sandinisten gegen die Nationalgarde und die Somoza-Diktatur im Jahr 1979 gingen die Menschen in verschiedenen Städten auf die Straßen und erhoben sich zum Volksaufstand. Dies band zusätzliche Kräfte der Guardia, die diese für den Volkskrieg dringend benötigt hätte, und nahmen ihr zusätzlich die Städte als wichtigen Rückzugsort. Für die Nationalgardisten in den eingeschlossenen Städten gab es nun keine sicheren Zufluchtsorte mehr. Viele Angehörige der Guardia suchten ihr Heil in der Flucht nach Honduras.50

3 Fazit

Zuallererst fällt bei der Behandlung der aufgeworfenen Frage ins Auge, dass für den Sieg der FSLN in der Nikaraguanischen Revolution sowohl die Stadt als auch das Land eine beträchtliche Rolle inne hatten. Die Arbeit in beiden unterschied sich in zahlreichen Punkten und auch ihre Wirkung auf den Revolutionsprozess war eine unterschiedliche. Was beide Bereiche eint ist, dass sie um die für den Sieg nötige Einbindung der Massen und um die Einigung und Zusammenarbeit der unterschiedlichen Strömungen in der Antidiktaturbewegung bemüht waren.

Der Volkskrieg im Sinne einer Landguerilla ging, wie schon im Namen zu erkennen ist vom Lande aus. Ein wichtiger Teil der Basis der FSLN war in den Kleinst- und Kleinbäuer_Innen zu finden und die schwer zugänglichen Berge bildeten den Rückzugsort für die Truppen der FSLN. Sie boten Schutz für Stützpunkte und eine eigene militärische Logistik. Vom Land wurde die Schlussoffensive auf die Stellungen der Nationalgarde in den Städten geführt und der militärische Sieg im revolutionären Krieg errungen.

Doch ohne die Aktionen in der Stadt wäre dieser Sieg wahrscheinlich nicht möglich gewesen. War die Stadt auch nicht das Terrain, in welchem alleine ein Volkskrieg entschieden wird, war sie doch von tragender Bedeutung. In ihr wurden wichtige Kämpfe der Arbeiter_Innenschaft und der Student_Innenbewegung ausgefochten, was sie zu einem wichtigen Faktor machte, um die Massen für den Antidiktaturkampf zu gewinnen. Die Arbeit der Sandinist_Innen in den Stadtteilbewegungen und an den Universitäten gab dem Revolutionären Kampf eine geeignete Infrastruktur und brachte politisch geschulte Kader für die FSLN hervor. Sie waren die Basis, welche den Kampf den Volkskrieg als Endphase der Landguerilla überhaupt ermöglichte.

Doch die Stadt hatte auch militärisch Bedeutung inne. Hier fällt ins Auge, dass sie das Machtzentrum der Diktatur darstellte, welche es für den militärischen und politischen Sieg der Revolution zu erobern galt. Sie war sozusagen das Ziel der Endoffensive des Volkskrieges. Erst mit der Einnahme Managuas fanden die Kämpfe zwischen FSLN und Nationalgarde ein Ende. Somoza hatte Nikaragua zu diesem Zeitpunkt schon vor mehreren Tagen fluchtartig verlassen.

Zuvor waren die Kräfte der Guardia immer wieder in den Städten gebunden und die Landguerilla der FSLN somit unterstützt worden. In der Anfangszeit des Antidiktaturkampfes war dies vor allem durch Direkte Aktionen der sandinistischen Stadtguerilla geschehen. Später legten dann Generalstreiks die Infrastruktur der Guardia lahm und zwangen diese, Versorgungsaufgaben selbst zu übernehmen. Dies zwang die Nationalgarde, Truppen für diese Aufgaben von der Front abzuziehen. Zuletzt erhob sich die Bevölkerung Nikaraguas in mehreren Städten zum Volksaufstand gegen die Somoza-Diktatur. Die Nationalgarde verlor ihre Rückzugsräume und floh ins Ausland. Dies besiegelte das Ende der Diktatur und den Sieg der Frente Sandinista de Liberación Nacional.

Die Arbeit zeigt auf, dass der Sieg der Sandinistischen Revolution in Nikaragua aus dem Zusammenspiel der unterschiedlichen Aspekte des politischen und militärischen Wirkens der Sandinist_Innen in der Stadt und auf dem Land möglich wurde. Beide – sowohl Stadt als auch Land – haben in der Revolution wichtige Bedeutung inne. Der Sieg nur durch das Wirken der FSLN in der Stadt wäre sicher nicht möglich gewesen. Doch auch andersherum bleibt festzustellen, dass ein Sieg ohne die Kämpfe und die Arbeit in der Stadt sicher nicht möglich gewesen wäre. Gerade mit der Mobilisierung der Massen für den Antidiktaturkampf hat sich die Stadt in Nikaragua zur Zeit der Somoza-Diktatur als »Motor des Wandels« bewiesen.

Fußnoten und Literatur

1 In dieser Seminararbeit wird mithilfe des Gender Gap und des Binnen-I gegendert, da das generische Maskulinum allzu schnell vergessen lässt, dass Menschen nicht nur männlich sondern unterschiedlichsten sozialen und/oder biologischen Geschlechts sein können. Zitate, Eigennamen von Organisationen und Angehörige ausschließlich männlicher Gruppierungen, wie z.B. der Nationalgardisten, bleiben hiervon unberührt.

2 LETZ, MALTE (1988): Kurze Geschichte der sandinistischen Revolution. Berlin, S. 38 – 48.

3 Ebenda, S. 52 f.

4 Ebenda, S. 53 f.

5 Ebenda, S. 51 – 53.

6 Ebenda, S. 56.

7 Ebenda, S. 52.

8 CABEZAS, OMAR (1985): Die Erde dreht sich zärtlich, Compañera. Berlin, S. 31.

9 LETZ, S. 96.

10 Ebenda, S. 96.

11 Ebenda, S. 99.

12 GUEVARA, ERNESTO (1986): Ausgewählte Werke in Einzelausgaben. Band 1: Guerillakampf und Befreiungsbewegung. Auflage 5, Dortmund, S. 77 – 83.

13 CABEZAS, S. 71 ff.

14 Ebenda, S. 302.

15 LETZ, S. 89.

16 Ebenda, S. 101.

17 Ebenda, S. 125 ff.

18 Ebenda, S. 116 ff.

19 Ebenda, S. 156 f.

20 LETZ, S. 96.

21 Ebenda, S. 90.

22 CABEZAS, S. 34 – 70

23 Ebenda, S. 26 ff.

24 Ebenda, S. 42.

25 Ebenda, S. 45 f.

26 Ebenda, S. 50.

27 Ebenda, S. 59.

28 LETZ, S. 83 f.

29 Ebenda, S. 85 f.

30 Ebenda, S.86.

31 CABEZAS, S. 59.

32 LETZ, S. 86.

33 Ebenda, S. 86.

34 Ebenda, S. 158.

35 CABEZAS, S. 45 ff.

36 Ebenda, S. 60.

37 Ebenda, S. 67 f.

38 Ebenda, S. 67.

39 MARIGHELLA, CARLOS (1970): Minihandbuch des Stadtguerilleros. – In: Sozialistische Politik, 1970, Nr. 6/7, S. 143-166, S. 144.

40 CABEZAS, S. 26.

41 MARIGHELLA, S. 149.

42 CABEZAS, S. 26 f.

43 MARIGHELLA, S. 149 f.

44 Ebenda, S. 153.

45 CABEZAS, S. 35 – 38.

46 MARIGHELLA, S. 145.

47 CABEZAS, S. 43 f.

48 Ebenda, S. 27 – 31.

49 Ebenda, S. 38 f.

50 LETZ, S. 161.

Download:
Wolfstatze, Meas: Welche Rolle hatte die Stadt für die Frente Sandinista de Liberación Nacional in der Nikaraguanischen Revolution?; Berlin 2014.

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