Tag Archive for reflexion

abgeschrieben: Wider dem Unrechtsstaat

von https://wildvogelclan.wordpress.com/2016/01/14/wider-dem-unrechtsstaat/

»Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.«
(Bertolt Brecht)

Am Montag dem 11.01.2016 wütete eine marodierende Horde Pegida-Nazis durch den Leipziger Stadtteil Connewitz.1 Am gestrigen Mittwoch, dem 13.01.2016 terrorisierte ein ähnlicher Mob, diesmal uniformiert und mit dem Label Polizei versehen, den Kiez um die Rigaer Straße im Berliner Friedrichshain.2 Read more

abgeschrieben: Jede*r für sich & alle gegen alle – Identität statt Revolte…

von https://wildvogelclan.wordpress.com/2015/06/01/alle-gegen-alle/

Es gibt wohl kaum einen Ort, an welchem mensch heutzutage leichter anecken kann, als in den Zusammenhängen einer Szene, die mit sich selbst um ihre politische Berechtigung kämpft. Und mit der ist es nicht mehr weit her, wenn Gender, die Position gegenüber Israel und die Frage der veganen Ernährung wichtiger werden, als der Kampf gegen Herrschaft und Kapital. Um letzteren ging es früher. Da gab es noch eine politische Berechtigung. Heute verkommt er mehr und mehr zur Phrase. Wir schaffen uns eine Seifenblase mit zumeist coolem kulturellem Angebot, ein paar Folkloredemos mit recht radikalen Sprüchen, denen keine Taten mehr folgen, und jeder Menge interner Animositäten und Feindschaften. Ob ein Mensch sich links fühlen darf, hängt oft genug nur davon ab, was sie*er isst, wie mensch zu Libertär- oder Autoritärsozialismus steht, ob die Solidarität Israel oder Palästina gilt und welche Privilegien die eigene Geburt sichert. Jepp, auch die Geburt ist in der Szene wichtiger geworden als wirkliche Taten, wenn es z.B. in einem Lied heißt, dass mensch kotzen müsse, wenn sie das Wort Freiheit aus Männermündern höre.

Wir haben also diese Seifenblase und in der lebt es sich auch ganz schön, wenn mensch erst die richtige Gruppe mit den gleichen auf sich bezogenen Vorstellungen gefunden hat. Nach außen und damit in den Rest der Szene hinein lässt es sich mit Beschuldigungen des Speziesismus, des Antisemitismus, des Sexismus etc. wunderbar abgrenzen. Es kann das eigene »revolutionäre« Dasein genossen werden. Wirklich geschehen tut dann nichts mehr. Wir verkommen in Sektierereien. Wie sollen wir auch Kraft für politische Kämpfe entwickeln, wenn wir einander mehr hassen lernen, als den Klassenfeind? Wir sind genauso individuell vereinzelt, wie die herrschende Klasse uns haben will, unsere Demonstrationen dem Etablissement weit weniger gefährlich und unbedeutender, als die aus dem Lager der Faschist*innen. Nichteinmal zu Großereignissen wie G7 schaffen wir es noch, angemessen zu mobilisieren, ohne in zahlreiche Splittergruppen zu verfallen.

Zu diesem auf die eigene Identität fixierten Szenedasein passt es dann auch, dass Mobilisierungen schon vielfach daran scheitern, dass wir uns lieber in unserer Seifenblase aufhalten und jede Menge Argumente finden, uns nicht aktiv machen zu müssen. »Bringt doch sowieso nichts.«, »Habe mit meinem eigenen Kram zu tun.« oder »Mir sind andere Kämpfe wichtiger.« (Womit dann zumeist eine Streiterei um eines der eingangs erwähnten szenezerreißenden Themenfelder gemeint sind.)

Und noch ein Punkt: nicht nur, dass wir uns intern schwächen, sind wir auch weiter denn je davon entfernt, Menschen außerhalb des direkten Szeneumfeldes zu erreichen. Wie sollen wir dies auch tun, wenn wir ihnen nicht mehr erklären, warum wir Handlungen und/oder Äußerungen als sexistisch oder rassistisch empfinden, sondern ihnen die Anschuldigung ohne Möglichkeit einer klärenden Debatte ins Gesicht klatschen. Hier geht es scheinbar mehr um das Gefühl der eigenen moralischen Überlegenheit und damit der Beweihräucherung einer Identität, als darum, etwas bei den Menschen zu bewegen. Damit bauen wir nicht nur Grenzen zwischen den Menschen, statt diese einzureißen, indem wir uns moralisch über sie zu erheben versuchen, reproduzieren wir auch hierarchische Strukturen, die es für eine freiere Welt eigentlich zu überwinden gilt.

Ist dies ein Angriff auf unsere eigene Szene? Nein, es ist ein Anstoß zur Debatte. Die Szene und ihre Sub-/Gegenkultur ist eine wundervolle Errungenschaft, die aufzeigen kann, wofür und wogegen es sich zu kämpfen lohnt. Auch queere Themen, Animal Liberation und Ansätze der verschiedenen Utopien können und sollten hier kritisch debattiert und erprobt werden. Unsere Arbeit kann Menschen erreichen, ob auf der Straße oder in unseren Projekten. Sie kann uns mit Revolutionsromantik Kraft und Rückhalt geben. Doch sie kann schon aus einer progressiven, revolutionären Perspektive heraus kein Selbstzweck sein.

Unzählige neue Kriege erschüttern die Welt, Europa schottet sich gegen das Leid der Welt ab, Überwachung und Kontrolle nehmen immer dystopischere Züge an, die Umwelt geht zu Grunde und faschistische und fundamentalistische Gruppen bieten immer mehr Menschen einfache Lösungen für die komplexen Probleme unserer Welt an. Was können wir derzeit dagegen setzen? Nichts – dazu müssten wir erst einmal zusammenkommen und hierzu wiederum ist es höchste Zeit für eine kritische Selbstreflexion.

abgeschrieben: Frankfurt am Main, 18.03.2015, Waren die Proteste erfolgreich?

von https://wildvogelclan.wordpress.com/2015/03/20/frankfurt-am-main-18-03-2015/

Schon vor beginn der Blockupy-Proteste stand fest, dass die Repressionsorgane der BRD alles tun würden, um eine friedliche Blockade der EZB-Eröffnungsfeierlichkeiten zu unterdrücken oder zu eskalieren. Knapp 10.000 Cops – darunter auch Beamte der »Antiterroreinheit« GSG 9 – waren ebenso herbei geschafft worden, wie 28 Wasserwerfer. NATO-Draht spannte sich durch die Stadt quer über Kinderspielplätze und bildete somit die weit umfangreichste Barrikade, die an diesem Tag in Frankfurt errichtet werden sollte.

Schon zwischen sechs und sieben Uhr morgens konnten die hochgradig gewaltbereiten Schläger*innen und kriminellen Banden des Staates ihrer Aggression dann freien Lauf lassen. Ohne Vorwarnungen wurden die Wasserwerfer eingesetzt, Tränengaskartuschen abgeschossen und Gummiknüppel geschwungen. Dann geschah ein »Wunder«. Ohne dass damit zu rechnen gewesen wäre, hielten nicht alle Demonstrant*innen auch noch die andere Wange hin. Ja sie setzten sich sogar zur Wehr. Und wie Polizei und Staats- als auch Konzernpresse zu berichten wissen, ist Gegenwehr böse, wo doch alle Gewalt alleine vom Staate auszugehen hat.

Nun sitzt die Presse in Sachen Propaganda aber am längeren Hebel und was sie schreibt, glaubt der*die einfache Deutsche auch, ohne das Hirn einzuschalten und die Fähigkeit der Reflexion zu nutzen. Und genau da sind wir am Knackpunkt der Thematik angekommen. Wenn die Presse das aggressive Vorgehen staatlicher Banden verschweigt und die Gegengewalt der Demonstrant*innen und Blockierer*innen als grundlose Gewalt diffamiert, dann scheint es besser zu sein, sich treten, schubsen und schlagen – ja sich aller Grundrechte berauben – zu lassen, um bloß keine negativen Bilder zu erzeugen.

Als im Juni 2007 in Heiligendamm der G8-Gipfel abgehalten wurde, kam es auch dort zu Protesten. Anders als in der stark urbanisierten Frankfurter Innenstadt, war es den Protestierenden dort jedoch besser möglich, der Repressionsmaschinerie auszuweichen und wirklich friedlich zu demonstrieren. Auch dort wurden für die Presse jedoch Bilder von Gewalt durch Demonstrant*innen benötigt und so flimmerte jeden Abend die gleiche Szene über die Bildschirme der Republik, in welcher einige Agents Provocateurs eine Bank samt davor parkendem Auto angriffen. Jedesmal wurde zur gleichen Szene von »neuen« Ausschreitungen berichtet. Was zeigt dies? Wohl am besten, dass die Polizei jene Bilder, welche sie zur Rechtfertigung ihres demokratiefeindlichen Vorgehens braucht, auch bekommt. Es ergibt keinen Sinn, sich nicht zur Wehr zu setzen. Wenn Polizei und Presse Bilder brauchen, dann entstehen diese so oder so.

Wenn mensch nun aber bereit ist, Gegengewalt zu sein, dann kann dies einen anderen Erfolg mit sich bringen: zwei Dutzend abgebrannte Polizeiwagen, Ausschreitungen in der gesamten Frankfurter Innenstadt und der Support von ansässigen Kiosk-, Imbiss- und Kneipenbesitzer*innen für die Blockierenden hat gezeigt, dass es der Polizei ganz offensichtlich nicht gelungen ist jede Regung von Demokratie in Gewalt zu ersticken. Sie haben versucht die Proteste mit Gewalt zu verhindern und wurden stattdessen mit Gegengewalt konfrontiert. Ihr Konzept ist, egal wie sehr sie in der Presse versuchen das Gegenteil zu behaupten, ganz eindeutig nicht aufgegangen.

Aber auch an die Protestbewegung gilt es Fragen zu stellen: Wie können wir der Propagandaübermacht von Staat und Konzernen künftig entgegentreten? Wollen wir etwas erreichen, das lebensfeindliche System Kapitalismus überwinden, wird dies nicht ohne den Rückhalt der Bevölkerung zu bewerkstelligen sein. Zudem müssen sich hitzige Gemüter, welche Bushaltestellen entglasten oder aus der nachmittäglichen Demo heraus Flaschen auf Cops geworfen haben kritisieren lassen. Es handelte sich hierbei nicht um Gegenwehr sondern um das spontane Ablassen von Wut – Wut die verständlich sein mag anhand des brutalen Vorgehens der Polizei, die jedoch niemals eine Lösung von Problemen sein kann, die aus einer friedlichen Demo bestenfalls bescheuert und schlimmstenfalls kontraproduktiv ist.

Es bleibt ein gemischtes Gefühl im Bauch. Nicht positiv, nicht negativ. Aber fragend: Hat Blockupy in Frankfurt etwas gebracht? Nun zumindest, haben wir den Cops gezeigt, dass Demokratie, welche auf der Straße gelebt wird und die sich nicht als Scheindemokratie in pseudolegitimen Parlamenten und mafiösen Lobbys abspielt, nicht durch paramilitärische Gewalt zu zerschlagen ist, dass sie sich zur Wehr setzt. Und »freiheit entsteht durch gegenwehr«.