Goodbye Chris…

Im Travekiez – in dem ich seit vielen Jahren wohne – gab es einen Späti, der war anders als die anderen. Seit 24 Jahren war er nicht nur eine günstige Alternative zu all den überteuerten Shops rundum, er war auch ein sozialer Treffpunkt. Die Rede ist von »Chris seinem Späti«, der vorgestern aufgehört hat zu existieren und den wir gestern noch mit einer kleinen Party geehrt haben.

ich & Chris

Der Vermieter wollte die bisherige Miete auf das Dreifache anheben, was Chris zu weit höheren Preisen gezwungen hätte. Dies verstößt nach eigener Aussage aber gegen seine Prinzipien und die Entscheidung, den Späti aufzugeben, war somit konsequent. Doch sie war nicht nur das, sondern auch eine Absage an die Profitlogik, die nicht nur den F’Hain – zu dem der Travekiez gehört – erfasst hat. Nicht nur Chris muss wegen der Mietpreise gehen. Auch die »Woodstock’s Bar«, welche mir persönlich recht wichtig ist und in der ich am 22.11. dieses Jahres mit Lari und der Pausenmusik auftreten möchte, ist massiv bedroht. So tötet die Sucht nach Profiten und die Umnutzung eines einst links geprägten Szeneviertels durch sogenannte »young urban professionals« (kurz: Yuppies) Stück für Stück all das, was mir in diesem Viertel noch lebenswert erscheint. Das Haus, in dem ich wohne, – einst Teil des städtischen Wohnungsbaus – wurde Anfang des Jahres an eine Eigentumsverwaltung übergeben und meine Wohnung gehört nun einem Zahnarzt aus Baden-Württemberg. Ich wohne jetzt wie viele andere in der Finanzanlage eines Menschen, der*die ganz eindeutig zuviel Geld besitzt und dieses dennoch vermehren möchte. Kann ich mir die Miete noch leisten, wird sich dies schon sehr bald ändern. Dafür ist das Haus jetzt sauber und gepflegt – nicht mehr so dreckig… keine Aufkleber auf Briefkästen sollen den Eingangsbereich verschandeln. Yuppies geben sich gerne als »szenig«, »alternativ«, »links« und lassen diese Maske doch recht schnell fallen, wenn sie den Kiez, in welchen sie zugezogen sind, zu bereinigen beginnen. Linke Projekte weichen esoterischen Yoga-Tempeln, coole Spätis werden gegen einen Einheitsbrei aus »ich kann auch was nähen«-Boutiquen eingetauscht und die vormaligen Bewohner*innen müssen die Häuser wegen überhöhter Mieten verlassen. Dafür gibt’s dann neue luxuriöse Eigentumswohnungen. Parkraum ist Dank einer Bewirtschaftung von eben diesem nun kein allgemeines Gut mehr. Ich bleibe traurig zurück. Noch…

Auch ich denke nun über andere Möglichkeiten nach, den Wohnraum für mich zu organisieren. Mit ein paar Leuten sitze ich zusammen um ein Hausprojekt ins Leben zu rufen. Da liegt noch ein langer und steiniger Weg vor uns und doch wollen wir ihn beschreiten. Wo die Logik des Systems uns das nimmt, was lebenswert ist, müssen wir uns ihm widerständig in den Weg stellen und versuchen uns selber zu organisieren. Niemensch muss fragen, warum ich Aufstand und Revolution will, wenn all das getötet wird, was sozial ist. Es lohnt sich, sich zu organisieren. Nur wenn wir losgehen, können wir eines Tages in einer schöneren Gesellschaftsordnung ankommen. Dann hoffentlich ohne Profitwahn, dafür aber mit ganz viel Leben.

Chris, ich danke dir für all die schöne Zeit. Goodbye.

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