Kurzerklärung Kapitalismus (Selbstverständnis des Hausprojekts Wilder Vogel)

Für das Hausprojekt Wilder Vogel ist nun ein Selbstverständnis entstanden, an dessen Entstehung ich als Teil eines Autor*innen-Kollektivs beteiligt war. Der erste Text aus dem Selbstverständnis, den ich hier veröffentlichen möchte ist eine Kurzerklärung zum Kapitalismus.

Der Kapitalismus ist ein durch Ausbeutung und Unterdrückung funktionierendes Wirtschaftssystem, das auf wirtschaftlichem Wachstum und damit der Anhäufung von Kapital, sprich von Privateigentum an Produktionsmitteln (Geld, Immobilien, Maschinen, Ressourcen etc. – also alle Dinge, die zur Produktion von Konsumgütern benötigt werden) basiert. Menschen ohne solch ein Privateigentum an Produktionsmitteln werden Arbeiter*innen (Arbeiter*innenklasse) genannt, weil sie ihre Arbeitskraft verkaufen – also hergeben – müssen, um von ihrem Lohn das zu bezahlen, was sie zum Überleben brauchen. Diese Form von Arbeit wird Lohnarbeit genannt und ist von einem krassen Abhängigkeitsverhältnis geprägt, denn diejenigen, die ihre Arbeitskraft hergeben müssen, sind darauf angewiesen, dass jene, die sie nehmen, sie bezahlen. Menschen, die keiner Lohnarbeit nachgehen (sei es z.B. auf Grund von Alter, wegen einer körperlichen oder seelischen Beeinträchtigung oder durch ihre Ausbildung), haben es extrem schwer, die überlebensnotwendigen Dinge (Nahrung, Wohnraum, Wasser etc.) zu bekommen, was die Menschen innerhalb dieser Gesellschaft in die Abhängigkeit zwängt, sich und ihre Arbeitskraft zu vermarkten. Jene am Rande der Gesellschaft bleiben dagegen häufig in bitterer Armut zurück.

Nahe bei den Arbeiter*innen sind zudem Kleinstunternehmer*innen als Nicht- oder Zwischenklasse angesiedelt. Diese sind zwar im Besitz eines geringen Maßes an Produktionsmitteln, dafür jedoch häufig bei den Banken und anderen Eigentümer*innen größerer Mengen an Kapital verschuldet, die als Kapitalgeber*innen auftreten. Im Konkurrenzkampf des Systems sind sie stetig davon bedroht, in die Arbeiter*innenklasse zurückzufallen. Um die Forderungen der Kapitalgeber*innen zu erfüllen, beuten sie auch sich selber aus. Sie werden heutzutage einer Mittelschicht zugerechnet, was sie gegen die große Masse der Arbeiter*innen als Unterschicht und die Kapitalist*innenklasse als Oberschicht abgrenzen soll. Da sie im bestehenden System ebenfalls unfrei sind, sollten ihre Perspektiven bei denen der Arbeiter*innenklasse liegen.

Wer dagegen über wirkliches Privateigentum an Produktionsmitteln verfügt, also der Kapitalist*innenklasse angehört, erhält neues Kapital aus dem Verkauf der mit der Arbeitskraft anderer produzierten Produkte. Hierbei geht es vor allem darum, möglichst viel und möglichst günstig zu produzieren und möglichst teuer zu verkaufen, um die eigenen Profite (Gewinne) zu steigern und erneut zur Gewinnmaximierung einzusetzen. Im Normalfall geht deshalb auch nur ein minimaler Bruchteil des eingenommenen Geldes als Lohn an die Arbeiter*innen, deren Arbeitskraft es eigentlich erwirtschaftet hat. Es entsteht eine extreme Ungleichverteilung an Ressourcen, Möglichkeiten und gesellschaftlicher Macht zwischen beiden Klassen, wobei der Klasse der Arbeiter*innen ein weit größerer Anteil der Menschheit angehört als der Klasse der Kapitalist*innen. Hieraus ergibt sich auch, dass die Politik fast ausschließlich von Kapitalist*innen beherrscht wird und ihre Ideologien wie z.B. die von Marktliberalisierung und Parlamentarismus zur dogmatischen Norm erhoben werden.

Als Nutznießer*innen des Kapitalismus sind die Angehörigen der Klasse der Kapitalist*innen natürlich bemüht, ihre privilegierte Stellung innerhalb des Systems zu erhalten, was nur dann funktioniert, wenn sie ihre Profite und damit ihre Macht mehren und sich gegenüber anderen durchsetzen. Dies geschieht durch Gewalt – mal in Kooperation und mal in Konkurrenz. Sie müssen sich auf Polizei, hierarchische staatliche Strukturen, Paramilitärs und Soldat*innen stützen, um die eigenen Interessen durchzusetzen und somit das System Kapitalismus am Leben zu erhalten. Ihre Gewalt ist zumeist indirekt, was aufgrund der physischen Ferne zu den Betroffenen die Möglichkeit gibt, zugleich die schlimmsten Formen der Gewalt anzuordnen und sich dennoch zivilisiert zu geben. Dies ändert nichts daran, dass Kriege und Repression zu den schrecklichen Folgen dieses Wirtschaftssystems gehören, was nicht heißt, dass sie nicht auch anderen auf Konkurrenz, Unterdrückung und Ausbeutung basierenden Systemen innewohnen.

Ein Problem, das dagegen als Alleinstellungsmerkmal des Kapitalismus mit seiner Profitorientierung gelten kann, ist der Drang, nicht die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern neue Bedürfnisse als Absatzmärkte für Konsumgüter zu schaffen und möglichst alles wirtschaftlich verwertbar zu machen. Wenn dies Grundbedürfnisse wie z.B. Nahrung, Wasser und Wohnraum betrifft, werden die Lohn- und »Sozialleistungs«abhängigen besonders getroffen. Soll der Wohnraum in einer Stadt vermarktet werden, führt das beispielsweise zu einer Verdrängung all jener, die von ihrem Einkommen in der Innenstadt nicht länger leben können. Dieser Prozess wird Gentrifizierung genannt und ist einer der Gründe, sich als Hausprojekt zu organisieren und Wohnraum nicht länger als Kapitalanlage der Verwertung ausgesetzt zu lassen. Auch die Ressourcen der Natur und nichtmenschliche Tiere werden verwertbar gemacht und neben dem Großteil der Menschen ausgebeutet. Der Drang immer mehr zu produzieren, um der Logik des Profits zu folgen, kennt auch dann keinen Halt, wenn unser gesamtes Ökosystem gefährdet wird. Diverse Mechanismen der Unterdrückung sind in einem solchen System dienlich, um die Unterdrückten und Ausgebeuteten gegeneinander aufzubringen und zu entsolidarisieren. Zusätzlich schaffen Privilegien Hierarchien innerhalb der Arbeiter*innenklasse, die ein Zusammenwirken zur Überwindung der Verhältnisse noch schwieriger machen.

Unter Betrachtung, dass Karl Marx und andere ganze Reihen an Büchern zum Thema Kapitalismus gefüllt haben, wird natürlich klar, dass dies lediglich eine verkürzte Darstellung sein kann. Als Überblick und zum Verständnis unserer Positionen kann sie trotzdem dienen.

→ Kurzerklärung »Autoritäre/hierarchische Strukturen«

Das Selbstverständnis (V20170125) steht unter der Creative Commons CC BY-NC-ND-Lizenz by Hausprojekt Wilder Vogel e.V.

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